Bessere Gesundheit

Übergewicht

Zu dick zu sein, gilt als ungesund und unattraktiv. Viele übergewichtige Menschen wurden aufgrund ihres Gewichts bereits ausgelacht, angestarrt und attackiert oder entwickeln ernste Folgekrankheiten. Schließen sich Übergewicht, Gesundheit und Zufriedenheit deshalb per se aus oder ist es möglich, einen Kompromiss zu finden? Kann man dick, glücklich und gesund sein?

Die Mittagssonne scheint glühend heiß vom strahlend blauen Himmel und lässt die Menschen in Schweiß ausbrechen. Sie flüchten sich ins Schwimmbad, streifen ihre Kleidung ab und stürzen sich in Bikinis und Badehosen in das angenehm kühle Wasser. Lisa Merten ist da keine Ausnahme. Auch sie sucht Erleichterung im Wasser. Doch die Leute werfen ihr vielsagende Blicke zu, tuscheln und lachen. „Schau mal, ist die fett!“, ist einer der Kommentare, den sie zu hören bekommt. „Schön ist, wer schlank ist“ – das scheinen viele zu denken. In den Medien prägen überwiegend sehr dünne Models die gängige Vorstellung von gutem Aussehen. Menschen, die nicht über die vermeintlich perfekten Maße verfügen, haben es oft schwer. Nicht nur, dass sie häufig als unattraktiv wahrgenommen werden. Vorurteile, die von Faulheit über Undiszipliniertheit und Gefräßigkeit reichen, sind weit verbreitet. Laut DAK hat jeder vierte Deutsche eine negative Einstellung gegenüber Menschen mit Adipositas. „Auch bei Therapeuten findet sich eine Tendenz, Adipositaspatienten bestimmte Eigenschaften, wie beispielsweise fehlende Willensstärke und Selbstkontrolle, zuzuschreiben. In einer Studie beurteilten 50 Prozent der Ärzte die Patienten mit Adipositas als ungeschickt, unattraktiv und nicht kooperationsbereit“, sagt Professor Doktor Martina de Zwaan in einem Informationsbericht von Novo Nordisk. Sie ist Expertin auf dem Gebiet der Adipositas- und Verhaltenstherapie und Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizini- schen Hochschule Hannover. Besonders problematisch ist es, wenn übergewichtige Menschen diese gesellschaftliche Ablehnung verinnerlichen und somit ihr Selbstwertgefühl verlieren.

Übergewicht – ein Lifestyle-Problem?

„Du bist ja selbst schuld. Wie kann man nur so dick werden?“ – solche Kommentare hören viele Menschen mit Adipositas oft. Häufig wird davon ausgegangen, dass Übergewicht ausschließlich durch fehlenden Sport und falsche Ernährung verursacht wird und somit ein selbstverschuldetes Problem ist. Dass Adipositas eine chronische Krankheit ist, die von Gesundheitsorganisationen als solche anerkannt wird, ist den meisten nicht klar. Unter dem Begriff Adipositas versteht man eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts. Diese Krankheit erfordert eine langfristige Therapie und kann komplexe Ursachen haben, beispielsweise Ernährungs- und Stoffwechselstörungen. Nicht nur übermäßiges Essen und zu wenig Bewegung können Gründe sein, auch die genetische Veranlagung und psychische Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Die vielschichtigen Ursachen wurden von der Wissenschaft noch nicht vollständig geklärt.

Dauerhaft abnehmen

„Dann nimm doch einfach ab!“, wird oft von übergewichtigen Menschen gefordert. Aber körpereigene Mechanismen der Gewichtsregulation erschweren es Patienten, dauerhaft abzunehmen und das reduzierte Gewicht zu halten. Denn der Organismus möchte sich selbst vor Verlusten in Form von Gewicht schützen und versucht deshalb, das individuelle Höchstgewicht immer wieder zu erreichen. Wenn jemand abnimmt, registriert der Körper ein Energiedefizit und in der Folge setzt eine hormonelle Gegenregulation ein: Das Hungergefühl nimmt zu und der Energieverbrauch wird reduziert. Dieses verstärkte Appetitgefühl kann mindestens 12 Monate lang anhalten.

„Eine einmal erreichte Adipositas führt quasi zu einer Art Narbenbildung, die nie wieder zurückgebildet werden kann“, erklärt Professor Doktor Arya Sharma, einer der weltweit führenden Experten zum Thema Übergewicht, im Informationsbericht von Novo Nordisk. Zudem können Begleiterkrankungen wie hormonelle Ungleichgewichte oder eine Schilddrüsenunterfunktion die Gewichtsabnahme erschweren. Menschen, die unter Adipositas leiden, als undiszipliniert, gefräßig und faul darzustellen, wird der Komplexität der Krankheit daher keinesfalls gerecht. Dennoch existieren diese Vorurteile in der Gesellschaft. Kann man als dicker Mensch darüber hinwegsehen und mit sich selbst zufrieden sein?

Vorurteilen trotzen

„In solch einem Körper kann man sich doch nicht wohlfühlen.“ Viele glauben, dass übergewichtige Menschen unmöglich mit sich und ihrem Körper glücklich sein können. Doch genau dafür steht die sogenannte Fat-Acceptance-Bewegung, die gegen die Diskriminierung dicker Menschen kämpft. Mit Slogans wie „Fat is Fabulous“ (Übersetzung: „Fett ist Fabelhaft“), Blogs und Projekten soll unter anderem das engmaschige gesellschaftliche Schönheitsideal verändert werden und gezeigt werden, dass auch übergewichtige Menschen selbstbewusst, modisch und zufrieden sein können.

Dr. Veronika Hollenrieder ist der Meinung, dass man dicken Menschen auch zeigen müsse, wie sie trotz Übergewicht glücklich sein können. In ihrem Buch „Ich bin dann mal dick!“ erklärt die Internistin und Leiterin einer Adipositas-Gruppe Ursachen und mögliche Therapien. Sie möchte dicken Menschen mit ihren Tipps aber auch zu mehr Gelassenheit und Zufriedenheit trotz Übergewicht verhelfen.

Elisabeth Dobler lebt ihr Wohlgefühl beispielsweise beim Tanzen aus. Die Autorin ist selbst übergewichtig und bietet Tanzkurse speziell für dicke Frauen an, da in den regulären Stunden meist nur eher schlankere Frauen vertreten seien, wie sie auf ihrer Webseite www.dick-und-gluecklich- tanzen.de schreibt. Ihr Buch trägt den Titel „Dick und glücklich durchs Leben tanzen“. Damit und mit ihren Tanzkursen möchte sie beweisen, dass die beiden Eigenschaften dick und glücklich sehr wohl miteinander zu vereinbaren sind. Doch wie sieht es mit dem Thema Gesundheit aus? Kann man nicht nur übergewichtig und zufrieden, sondern auch gesund sein?

Gesund trotz Übergewicht?

„Übergewichtige Menschen sind krank“, heißt es oft. Die DAK schreibt in ihrem Infobericht, dass das nicht immer der Fall ist. Eine entscheidende Rolle spielt das Ausmaß des Übergewichtes. Das Gewicht einer Person wird üblicherweise mithilfe des Body-Mass-Index (BMI) eingeschätzt. Als übergewichtig gilt, wer einen BMI über 25 hat. Ab einem Wert von 30 spricht man von Adipositas. Um das gesundheitliche Risiko abzuschätzen, ist es wichtig, zwischen diesen beiden Graden zu unterscheiden. Eine Studie der Epidemiologin Katherine Flegal kommt zu dem Ergebnis, dass leichtes Übergewicht sogar von Vorteil sein kann. Personen mit einem Body-Mass-Index zwischen 25 und 30 hatten demnach sogar eine höhere Lebenserwartung als diejenigen mit einem BMI unter 25. Erst ab einem Wert von 30 nahm die Lebenserwartung ab. Mit der Schwelle zu Adipositas wird Übergewicht als chronische Krankheit eingestuft, mit der Begleiterkrankungen wie Typ 2 Diabtes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Schlaganfall einhergehen können. Adipositas hat einen enormen Einfluss auf die Lebenserwartung: Diese verringert sich bei den Betroffenen um zwei bis zehn Jahre. Die Krankheit ist zudem aufgrund der mit ihr assoziierten Begleiterkrankungen die weltweit fünfthäufigste Todesursache.

Auf die Fitness kommt es an

„Je weniger Gewicht, desto besser“, wird oft gesagt. Doch die Fettverteilung des Körpers ist ein weiterer wichtiger Aspekt, um die gesundheitlichen Risiken von Übergewicht einzuschätzen. Denn es kommt nicht nur darauf an, wie dick man ist, sondern auch, an welchen Stellen das Fett ansetzt. Man unterscheidet zwischen der Birnen- und der Apfelform: Während der sogenannte gynoide Birnentyp vor allem an Gesäß, Hüften und Oberschenkeln Unterhaut-Fettgewebe ansetzt, ist der bevorzugte Speicherort beim androiden Apfeltyp vor allem die Bauchhöhle. Dieses sogenannte Viszeralfett gilt als problematisch, weil es das Risiko für Arterioskleorse, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigert. „Unterhaut-Fettgewebe wird dagegen nicht mit diesen Erkrankungen in Verbindung gebracht“, schreibt die Deutsche Diabetes Stiftung in ihrem Gesundheitsprogramm „Auf gutem Kurs“. Deshalb können auch schlankere Menschen ein erhöhtes Krankheitsrisiko haben, wenn ihr Körper Fett bevorzugt in der Bauchhöhle ansammelt.

Ein sehr wichtiger Aspekt ist außerdem der individuelle Lebensstil. Ausgewogene Ernährung und Bewegung sind ausschlaggebend für die Gesundheit. Ergebnis einer im European Heart Journal veröffentlichten Studie war, dass viele übergewichtige Menschen trotz ihres Gewichts einen intakten Stoffwechsel hatten und gesund waren. Der Grund: regelmäßige Bewegung und Fitness. Diese Faktoren können beispielsweise zum Abbau von Viszeralfett beitragen und entscheidender sein als der Body Mass Index. Denn der Wert berücksichtigt nicht den individuellen Körperbau. Das bedeutet, dass gut trainierte, muskulöse Menschen laut BMI als übergewichtig gelten können. Zudem wird die Fettverteilung und somit das riskante Bauchfett nicht in die Bewertung einbezogen. Um das gesundheitliche Risiko durch Übergewicht einzuschätzen, sollte man neben dem BMI daher auch die Waist-to-Height-Ratio berücksichtigen, die das Verhältnis des Taillenumfangs zur Körpergröße bestimmt und somit die Fettverteilung betrachtet.

Gerade Diabetiker sollten Übergewicht dringend vermeiden beziehungsweise versuchen, es abzubauen. Fettleibigkeit stellt ein Gesundheitsrisiko dar. Aber viele weit verbreitete Vorurteile treffen oft nicht zu. Von vornherein gehen einige Menschen davon aus, dass übergewichtige Personen unzufrieden mit ihrem Körper sind – weil er nicht schön ist oder sie krank sind. Doch diese Annahmen sind nicht immer richtig. Durch Bewegung und ausgewogene Ernährung können auch übergewichtige Menschen ihre Gesundheit optimieren. Jeder Mensch hat eine andere Wohlfühlzone. Viele Übergewichtige finden einen Kompromiss, der die extremen und oft übertriebenen gesellschaftlichen Erwartungen und Ideale nicht erfüllen mag, aber gesundheitlich unbedenklich ist.