Traditionelle Chinesische Medizin bei Diabetes
Was kann die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) im Hinblick auf typische Diabetes-Beschwerden leisten?
Die möglichen Folgeerkrankungen von Diabetes zu vermeiden zählt zu den wichtigsten Aufgabe von Menschen mit Diabetes und ihren Ärzten. Folgeerkrankungen sind leider keine Seltenheit. Wichtig ist es daher, ihnen nicht nur vorzubeugen, sondern sie durch eine gute Blutzucker-Einstellung aufzuhalten sowie die besten Wege aufzutun, sie abzumildern und Beschwerden zu lindern und vielleicht sogar zu kurieren. Kann die traditionelle chinesische Medizin (TCM) – eine der bekanntesten und anerkanntesten alternativen Heilmethoden in unseren Breiten – auch etwas dazu beitragen?
TCM – was ist das eigentlich?
Die TCM ist eine weit über 1000 Jahre alte asiatische Heilmethode. Während sie bei uns in Anteilen meist komplementärmedizinisch eingesetzt wird, gibt es in Asien Regionen, die sie als primäre Medizin unserer Schulmedizin vorziehen.
In der TCM wird der Mensch ganzheitlich betrachtet. Die TCM-Anamnese ist vielseitig und kann u. a. Zungen-, Antlitz- und Pulsdiagnostik umfassen.
Die innere Harmonie des Menschen steht im Mittelpunkt. Die Begriffe Yin und Yang – zwei sich gegenseitig schaffende und ergänzende Aspekte – sind Zentrum dieser Heilvorstellung. Man geht in der TCM davon aus, dass der Körper von Energieleitbahnen durchzogen ist. Die Hauptleitbahnen heißen Meridiane. Auf ihnen fließt die Lebensenergie Qi. Beschwerden und Krankheiten lassen sich anhand von Ungleichgewichten der energetischen Harmonie im Körper und anhand von Blockaden des Lebensenergieflusses feststellen und beheben. Innere Einflüsse, wie die psychische Verfasstheit sowie äußere Einflüsse, wie das Klima, werden bei der Anamnese beachtet.
Der Ernährung und Lebensführung der Menschen werden in der TCM eine ebenso relevante Rolle beigemessen. Neben der TCM-Diätetik sind etwa 2000 verschiedene Mittel im Einsatz, ein gutes Viertel davon ist auch in Deutschland erhältlich. Die Auswahl der richtigen Mittel-Kombination sollte von erfahrenden TC-Medizinern vorgenommen werden. Verabreichte Mittel in der TCM sind vornehmlich pflanzlicher Herkunft. Vereinzelt werden auch Mittel mineralischer sowie tierischer Herkunft eingesetzt.
Manuelle Therapien der TCM
Die bekannteste TCM-Therapieform in unseren Breiten ist die Akupunktur. Daneben gibt es auch verschiedene Massageanwendungen und Bewegungstherapien wie Qi Gong, die in der TCM zum Einsatz kommen können.
Die Akupunktur setzt bei Blockaden des Energieflusses des Qi an. Hier soll durch das gezielte unblutige Einstechen von Nadeln an ausgewählten Akupunkturpunkten geheilt werden. In Deutschland gibt es einige Ärzte, die eine Zusatzausbildung in Akupunktur abgeschlossen haben und komplementärmedizinisch behandeln, auch weitere Therapeuten wie z. B. Heilpraktiker bieten Akupunktur an.
Die Einsetzbarkeit der Akupunktur ist breit. Ihre Wirksamkeit – wenn auch nicht die Wirkungsweise – gilt im Hinblick auf bestimmte Kniegelenks- und Lendenwirbelsäulenleiden als belegt. Auch bei weiteren Leiden weisen eine Vielzahl an Erfahrungsberichten und Erhebungen auf eine Wirksamkeit hin, evidenzbasiert klar bewiesen ist die Akupunktur jedoch nicht. Sie wird, wie auch andere nicht bewiesene Therapieformen, in einem bestimmten Rahmen unter bestimmten Bedingungen von den privaten und gesetzlichen Krankenkassen dennoch übernommen. Die Kritik an der Akupunktur setzt an vielerlei Punkten, angefangen bei ihren Grundannahmen bis hin zu ihrer angeblichen Wirkungsweise, an. Wichtig: Sollte man sich dafür entscheiden, eine TCM-Behandlung vornehmen zu lassen, ist es von zentraler Bedeutung, dies in Absprache mit dem behandelnden Arzt zu tun.
Positiverfahrungen mit TCM und Nutzen bei Diabetes
Die vielen positiven Berichte zur Akupunktur ohne Nebenwirkungen machen sie zu einer verlockenden Therapie – wenn sie denn tatsächlich wirkt. Ob es sich letztlich um Placebo-Wirkungen handelt steht hierbei für viele Menschen mit Be- schwerden an zweiter Stelle – nach dem Motto „wer heilt hat Recht“.
Einige Diabetologen wissen zu berichten, dass ihre Patienten durch Akupunktur Linderungen der Schmerzen bei Polyneuropathien erfahren haben. Und nicht nur das, Akupunktur soll das Immunsystem stärken, also präventiv mehr Gesundheitspotentiale herstellen. Im Hinblick auf TCM-Arzneien ist die Studienlage umstritten. Einige chinesische Arzneien stehen aber im Verdacht, Nebenwirkungen an Organen, wie zum Beispiel Leberschäden, auszulösen. Eine bedenkenlos probierbare Medizin ist TCM also nicht.
Dr. Stefan Feidt aus Freisen, Diabetologe und TC-Mediziner weiß, dass in der TCM „drei Formen des Diabetes, eine obere Form, eine mittlere und eine untere Form“ unterschieden werden. Jede Form hat eigene Eigenschaften, alle gehen jedoch für gewöhnlich mit einem „Säftemangel“ und „Hitze” (lateinisch calor) einher. „Nicht nur je nach Diabetes-Typ sondern auch je nach individuell erfolgter Anamnese und Untersuchung wird nun ein Dekokt [Anm. d. Red.: So heißen die zusammengemischten Kräutertränke in der TCM] verschrieben und ggf. auch ergänzend akupunktiert.
Die TCM Ernährung bei diesen Krankheitsbildern orientiert sich daran “Säfte“ zu ergänzen und “Hitze” zu kühlen, hierdurch kann auch eine „Positivwirkung für Diabetiker“ erreicht werden, sagt Dr. Feidt. Während Weizenmehlprodukte gemieden werden sollen, da sie die “Hitze” verstärken, wirken Joghurt, Frischkäse, Gurken, Spinat und Melonen kühlend. Säfteaufbauend wirken Birnen, Chinakohl, Tomaten. Wer versuchen möchte sich nach Grundlage der TCM zu ernähren, braucht hierfür einen versierten TC-Mediziner.
Akupunktur und TCM bei Diabetes
Die für diabetische Folgeerkrankungen vielleicht interessanteste Teil der TCM ist die Akupunktur. Leider können diabetische Folgeerkrankungen vielerlei Bereiche des Organismus betreffen. Es gibt Hinweise darauf, dass der Einsatz von Akupunktur unterstützen kann. Generell gehen Befürworter der TCM davon aus, dass sich gewebliche Reinigungseffekte begünstigen lassen und Stoffwechselvorgänge nachhaltig verbessert werden.
Die diabetische (Poly)neuropathie (PNP) ist eine Nervenschädigung, die bei anhaltend hohen Blutzuckerwerten auftreten kann. Sie gehört zu den häufigsten Folgeschäden eines Diabetes. Es können die verschiedensten Bereiche des Körpers betroffen sein und auch die Bandbreite der Symptome ist sehr groß. Störungen des Schmerz-, Berührungs- oder Temperaturempfindens, auch Schmerzen, Kribbelgefühle in den Gliedmaßen, Libidoeinschränkungen und Lähmungen können auftreten.
TCM bei diabetischem Fußsyndrom
Das diabetische Fußsyndrom ist eine Folge der PNP im Zusammenhang mit einer verschlechterten Wundheilung. Verletzungen werden nicht wahrgenommen, heilen schlecht und es kann schlimmstenfalls zu Amputationen kommen.
Die Akupunktur zeigte hier auf symptomatischer Ebene Erfolge. Betroffene berichten besonders bei schmerzhaften Polyneuropathien über Linderung. So befasst sich eine aktuelle Studie des Zentrums für TCM am Universitatsklinikum Hamburg Eppendorf derzeit mit dem Nutzen der Akupunktur bei PNP. Es wird hier als Arbeitshypothese von einer Beschwerdelinderung und Stimulation des Nervenwachstums ausgegangen. Ergebnisse sind mit Spannung abzuwarten.
Dr. Feidt weiß aus eigener Praxis: „Besonders bei Geschwüren am Fuß und den Minus- und Plussymptomen des Empfindens kann die Akupunktur zu Verbesserungen führen.“ Auch bei diabetischen Augenbeschwerden wie der Retinopathie und grauem Star kann „eine Verbesserung des Krankheitsverlaufes erzielt werden“, so Dr. Feidt.
Menschen mit Diabetes haben häufiger trockene und juckende sowie sensible Haut. Hautinfektionen können insbesondere bei einem schlecht eingestellten Blutzucker häufiger auftreten. In der TCM kommen hier vor allem Kräuter zum Einsatz. Akupunkturmaßnahmen können je nach individueller Anamnese auch erfolgen. Dies gilt auch für Zahnprobleme bei Diabetes. Längerfristig erhöhte Blutzuckerwerte verschlechtern die Blutversorgung – auch im Zahnfleisch. Dies schwächt die Abwehr und Keime können sich vermehren. Diabetesbedingte Mundtrockenheit kann zudem eine defekte Schmelzoberfläche begünstigen und Karies kann schneller entstehen. Die Zahngesundheit ist auch von entscheidender Bedeutung für die Blutzuckereinstellung. Neben der TCM-Kräutertherapie kann auch Akupunktur erfolgen. Ein mit dem Gebiss assoziierter Meridianpunkt würde hierfür ausgewählt werden.
TCM – ja oder nein?
Abschließend lässt sich nicht klar feststellen, ob und wenn ja inwiefern die TCM einen wirklichen Mehrwert für die präventive und kurative Behandlung von diabetischen Folgeerkrankungen hat. Einige Vorteile bringt sie gewiss mit sich: Die Beschäftigung mit dem eigenen Organismus und das in Betracht ziehen anderer Blickwinkel auf die eigene Gesundheit eröffnen immer auch weitere Perspektiven und schärfen den Blick für sich selbst.
Fast jede Kultur hat eigene Heilvorstellungen und Sichtweisen auf Leben und Gesundheit. Unzweifelhaft sinnvoll sind ganzheitliche Ansätze, die das gesamte Zusammenspiel des Menschen mit seiner bio-psycho-sozialen Um- und Innenwelt betrachten und bei therapeutischen Maßnahmen in Betracht ziehen. Im Hinblick auf die TCM kann man feststellen, dass ein harmonisches Leben auch die Blutzuckereinstellung verbessern kann und es gibt viele Hinweise darauf, dass Akupunktur in der Schmerztherapie wirksam ist – wenn auch das „Wie“ umstritten ist.
Man sollte zum derzeitigen Kenntnisstand jedoch in keinem Fall bei der Behandlung von Erkrankungen nur auf die TCM setzen. Insbesondere viele der diabetischen Folgeerkrankungen und Beschwerden sind mit einer guten Blutzuckereinstellung, regelmäßiger Kontrolle und durch weitere schulmedizinisch evidenz-basierte Maßnahmen zu lindern und aufzuhalten. Diese zu Gunsten von alternativmedizinischen milden Heilsversprechen auszulassen, kann verheerend und schwerst gesundheitsgefährdend sein. Achten Sie daher darauf, wenn Sie sich für einen alternativmedizinischen Weg entscheiden, dies stets in Absprache mit Ihrem Arzt zu tun und die Maßnahmen in Ihre schulmedizinische Therapien zu integrieren anstatt diese auszutauschen.