Babyglück mit Diabetes
Eine Schwangerschaft ist etwas Wunderbares. Damit diese für Mütter mit Diabetes weitestgehend unkompliziert verläuft, ist ein gutes Therapie- und Risikomanagement ebenso wichtig, wie eine gute diabetologische Betreuung.
Vor drei Jahren entschieden sich Simone und ihr Mann die Familienplanung anzugehen. Die heute 33-jährige Typ-1-Diabetikerin wünschte sich eigentlich schon seit ihrem 25. Lebensjahr ein Kind, jedoch riet ihr der Arzt dazu, zuerst für eine langfristig gute Blutzuckereinstellung zu sorgen. „Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für den Tipp, denn damals fehlte mir tatsächlich noch das nötige Wissen im Umgang mit dem Diabetes und mein Leben war sehr stressig“, sagt die Bürokauffrau heute. „Mit 30 Jahren hatte ich mehr innere Ruhe, um mich voll und ganz auf die Schwangerschaft und die Blutzuckereinstellung zu konzentrieren. Zu dieser Zeit war mein HbA1c schon lange in einem sehr guten Bereich.“ Simones Mann begleitete sie zu den Terminen bei ihrem Diabetologen und informierte sich über die wichtigsten Regeln, sowie über mögliche Komplikationen während der Schwangerschaft. „Ich finde es wichtig, dass man als Familie an einem Strang zieht. So ist es wesentlich einfacher, diese spannende Zeit ohne Probleme zu meistern“, betont die junge Mutter.
Einfluss der Hormone
Auch wenn heute nur noch wenigen Frauen mit Typ-1-Diabetes von einer Schwangerschaft abgeraten wird, bestehen gewisse Risiken, denen jedoch vorgebeugt werden kann. „Eine Schwangerschaft beeinflusst den Diabetes ausgelöst durch die Hormone Progesteron, Human- Plazenta-Laktogen (HLP) und Östriol, die von der Plazenta (Mutterkuchen) hergestellt werden, negativ“, schreibt Gerhard W. Schmeisl in seinem „Schulungsbuch Diabetes“. Diese verursachen eine Verminderung der Insulinempfindlichkeit, die etwa ab dem vierten bis sechsten Schwangerschaftsmonat zu einer Zunahme des Insulinbedarfs führt. Zusätzlich werde in der Plazenta vermehrt Insulin abgebaut. Aus diesem Grund raten Ärzte zu einer geplanten Schwangerschaft. Bevor der Kinderwunsch angegangen wird, sollten die Blutzuckereinstellung und der HbA1c-Wert optimal sein. Gerhard W. Schmeisl: „Zum Zeitpunkt der Zeugung sollte der Blutzucker mindestens drei Monate optimal eingestellt sein, denn in der Zeit, in der eine Frau in der Regel noch gar nicht weiß, dass sie schwanger ist, werden die Organe des Föten bereits angelegt.“
Mit der Mutter verbunden
Der Blutkreislauf des ungeborenen Kindes ist von Anfang an über die Plazenta mit dem Kreislauf der Mutter verbunden. Aus diesem Grund kommt es bei einer mütterlichen Hyperglykämie (Überzuckerung) auch zu einer Hyperglykämie im Kreislauf des Kindes. „Etwa ab der 28. Schwangerschaftswoche führt dies dazu, dass die kindliche Bauchspeicheldrüse vermehrt Insulin produziert, um das Zuckerüberangebot zu bewältigen“, so Gerhard W. Schmeisl. Die Folgen seien eine Vermehrung des Fettgewebes und eine Vergrößerung des Zuckerdepots in Form von Glykogen, vor allem in Herz und Leber des Kindes. Dabei ist zu beachten, dass der Insulinspiegel des Neugeborenen nach der Geburt zunächst unvermindert hoch bleibt. Mit der Abnabelung fehlt dann jedoch plötzlich das Zuckerangebot des mütterlichen Blutes, woraus Unterzuckerungen resultieren können. Mütter mit Diabetes sollten unbedingt in einer Klinik entbinden, in der das Neugeborene sofort nach der Geburt durch engmaschige Blutzuckermessungen überwacht wird. Bei Bedarf kann es mit einer Traubenzuckerinfusion versorgt werden.
Niedrigere Zielwerte
Mit einem positiven Schwangerschaftstest beginnt eine spannende und schöne, aber auch anstrengende Zeit für werdende Mütter. Nun geht es darum, die Blutzuckereinstellung an die einer gesunden, nichtdiabetischen Schwangeren anzupassen. Ohne Diabetes liegt der Nüchternblutzucker in der Schwangerschaft um etwa 10 bis 20 mg/dl niedriger als unter normalen Umständen. Schwangere Frauen sollten deshalb nüchtern Zielwerte von 65 bis 95 mg/dl (3,6 bis 5,3 mmol/l) einhalten und zwei Stunden nach dem Essen sollte der Blutzucker unter 120 mg/dl (6,6 mmol/l) liegen. Um diese Werte zu erreichen, ist Disziplin und Selbstverantwortung nötig, da kein Arzt eine „Rund um die Uhr- Betreuung“ leisten kann.
„Anfangs fiel es mir nicht leicht, die vorgegebenen Zielwerte zu erreichen“, erinnert sich Julia. „Deshalb habe ich mir Zeit gelassen und mich nicht unter Druck gesetzt. Es dauert eben, bis man seinen Kör- per versteht und die nötige Gelassenheit sowie Eigeninitiative entwickelt.“ Die Mutter eines Sohnes kontrollierte während der Schwangerschaft etwa sechs- bis achtmal täglich ihren Blutzucker.
Veränderter Insulinbedarf
„Der Insulinbedarf steigt im Allgemeinen während der Schwangerschaft – etwa ab der 15. Woche bis zum Ende – aufgrund der abnehmenden Insulinempfindlichkeit zum Teil bis auf das Zwei- bis Vierfache an“, schreibt Gerhard W. Schmeisl in seinem Buch. Er weist zudem darauf hin, dass bei einigen Schwangeren der Insulinbedarf jedoch während der sechsten bis zehnten Woche zurückgehe. Einige Tage vor der Geburt nimmt er in der Regel bereits dramatisch und insbesondere auch unmittelbar nach der Geburt ab. „Hier fällt der Insulinbedarf oft unter die Ausgangsinsulinmenge in der Zeit vor der Schwangerschaft ab“, so Schmeisl. Er normalisiere sich dann in den folgenden Tagen nach der Geburt.
Aufgrund des steigenden Insulinbedarfs während der Schwangerschaft können zusätzliche Injektionen nötig sein. Die Umstellung auf eine Insulinpumpen-Therapie hat sich in vielen Fällen bewährt. Auch Julia hat sich bereits ein Jahr vor der Schwangerschaft dazu entschieden und ist heute glücklich mit dieser Entscheidung: „Dank meiner Pumpe ist es mir gelungen, meinen Blutzucker viel feiner einzustellen“, betont die Typ-1-Diabetikerin und fügt hinzu: „Mein Arzt hat mich zudem auf ein kurzwirksames Analoginsulin umgestellt. So konnte ich schneller auf Blutzuckeranstiege reagieren und die verkürzte Wirkzeit hat mir geholfen, Unterzuckerungen vorzubeugen.
Schwangerschaft mit Typ-2-Diabetes
Auch Frauen mit Typ-2-Diabetes sollten sich für eine geplante Schwangerschaft entscheiden, um Risiken zu minimieren. Leider passiert es nicht selten, dass sie erst nach der zehnten Schwangerschaftswoche aufgrund einer unbefriedigenden Blutzuckereinstellung einen Arzt aufsuchen. Nicht unterschätzt werden darf, dass jüngere Frauen mit Typ-2-Diabetes häufig auch an Übergewicht, Bluthochdruck oder einer Fettstoffwechselstörung leiden. Diese Faktoren führen ebenfalls zu einem höheren Schwangerschaftsrisiko. Vergleichsstudien belegen sogar, dass Patientinnen mit Typ-2-Diabetes schlechtere Schwangerschaftsergebnisse als Frauen mit Typ-1- Diabetes aufweisen.
Das liegt unter anderem auch daran, dass blutzuckersenkende Medikamente zur Behandlung des Typ-2- Diabetes zum Teil zu möglichen Missbildungen des Ungeborenen führen können. Um eine adäquate Blutzuckereinstellung während der Schwangerschaft zu erreichen, sollten werdende Mütter mit Typ-2-Diabetes vier bis sechsmal täglich den Blutzucker messen. Eine Umstellung auf eine Insulintherapie sollte bereits in der Schwangerschaftsplanung erfolgen. So kann auf Überschreitungen der Grenzwerte sofort reagiert werden. „Eine so straffe, aber erforderliche Stoffwechselführung birgt die Gefahr häufigerer Unterzuckerungen“, schreibt Gerhard W. Schmeisl. Aus diesem Grund sollten die nächsten Angehörigen und gegebenenfalls Arbeitskollegen in der Hilfe bei schweren Unterzucke- rungen geschult sein und auch eine Glukagonspritze geben können.
Die richtige Entbindungsklinik wählen
Um weitere Risiken auszuschließen, sollte die Entbindung sowohl mit Typ-1-, als auch mit Typ-2-Diabetes in einem sogenannten Perinatalzentrum mindestens LEVEL 2 geplant werden (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen). Werdende Mütter sollten sich dort rechtzeitig vorstellen, spätestens mit der 36. Schwangerschaftswoche. Wird bereits im Ultraschall eine Fehlbildung festgestellt, dann muss die Entbindung mit direkter Anbindung an die erforderlichen chirurgischen Spezialdisziplinen (Kinder-, Neuro-, Kardiochirurgie) erfolgen. So wird vermieden, dass das Kind nach der Geburt als Notfall in eine geeignete Klinik transportiert werden muss.
Die Annahme, dass der Diabetes der Mutter allein ein Grund für einen geplanten Kaiserschnitt ist, stimmt so nicht. Generell entsprechen die Gründe für eine Geburtseinleitung denen von Frauen ohne Diabetes. Ein aktives Vorgehen zur Einleitung der Geburt ist bei Erreichen des errechneten Entbindungstermins angezeigt. Bei Julia verlief die Geburt ohne Komplikationen: „Ich habe meinen Sohn auf natürlichem Wege zur Welt gebracht. Ein Kaiserschnitt wurde mir nicht empfohlen“, sagt die junge Mutter. Die Entbindungsklinik hat Julia mit ihrem Mann bereits kurz nach dem positiven Schwangerschaftstest ausgesucht: „Wir haben uns mit anderen Müttern mit Diabetes in Foren ausgetauscht und uns verschiedene Kliniken angeschaut. Das kann ich auch anderen Frauen mit Kinderwunsch raten.“
Blutzuckereinstellung bei der Geburt
Während dieser aufregenden Zeit sollten die Blutzucker-Zielwerte zwischen 70 bis 110 mg/dl (3,9-6,1 mmol/l) liegen. Es gilt sowohl Unterzuckerungen, als auch schlagartige Blutzuckeranstiege zu vermeiden. Ein gleichmäßiger Stoffwechselverlauf kann durch ein im Kreißsaal verfügbares, standardisiertes Behandlungsschema der jeweiligen Entbindungsklinik mit Anweisungen zu Infusionen und zur Insulindosis-Anpassung bis zur Durchtrennung der Nabelschnur gewährleistet werden. Werdende Mütter sollten sich von ihrem Diabetologen, und gegebenenfalls auch in der Klinik, die Blutzuckerführung während der Geburt erläutern lassen. Auch bei einem Kaiserschnitt kann die Insulinpumpe eingesetzt werden. Unter Umständen muss diese an entsprechenden Körperstellen befestigt werden, damit der Eingriff reibungslos erfolgen kann. Während der Geburt werden stündliche Messungen empfohlen.
Eine kontinuierliche Glukosemessung (CGM) erleichtert die Überwachung während der Geburt, aber auch in der Schwangerschaft. „Mein Diabetologe hat mir schon beim Beantragen der Insulinpumpe zu einem CGMSystem geraten“, erinnert sich Julia. „Es wurde mir auch ohne Probleme genehmigt.“ Das Beispiel von Julia zeigt, dass eine Schwangerschaft mit Diabetes unkompliziert verlaufen kann, wenn die richtigen Vorkehrungen getroffen werden und eine gute Blutzuckereinstellung erfolgt.