Besser Messen

Insulin – Erfolg der Forschung

Professor Dr. Hellmut Mehnert, der sein Leben der Behandlung von Menschen mit Diabetes gewidmet hat, wurde im Februar 90 Jahre alt. Dies nahm Professor Mehnert zum Anlass, um in einem Vortrag über die Anfänge des Insulins und die Entwicklung hin zu modernen Analoginsulinen zu berichten.

Frederick Banting und Charles Best forschten im kanadischen Toronto im Jahr 1921 mit Bauchspeicheldrüsen- Extrakten und wiesen deren blutzuckersenkende Wirkung zunächst an Hunden nach. Nur fünf Monate später wurde der erste Patient behandelt: Der 13 Jahre alte kanadische Junge Leonard Thompson, der seit zwei Jahren an Diabetes litt, war durch die damals übliche Behandlungsmethode, die „Hungerkur“, sehr stark abgemagert. Die regelmäßigen Injektionen des gereinigten Pankreasextraktes brachte für den Jungen die Wende. Leonard erholt sich und lebte 14 weitere Jahre, bis er an einer Lungenentzündung ohne Zusammenhang mit seinem Diabetes starb.

Untersuchungsverbot schadet vielen Diabetikern

„Gerechterweise muss man sagen, dass ein Deutscher, ein gewisser Georg Ludwig Zülzer aus Berlin, das Insulin in dieser Form bereits zehn Jahre vorher in der Hand hatte. Er gab es ebenfalls Patienten, die aber mit Zittrigkeit und Heißhunger, Blässe und Schwitzen reagierten. Man dachte damals, es sei eine Fremdeiweißreaktion, und verbot Zülzer weitere Untersuchungen – zum Schaden von hunderttausenden von Diabetikern in aller Welt,“ berichtete Professor Mehnert. Heute ist klar, dass damals keine Fremdeiweißreaktionen sondern Unterzuckerungen beobachtet wurden. „Doch in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg benötigte man für eine Blutzuckerbestimmung noch 250 Milliliter Blut – regelmäßige Messungen waren daher nicht möglich“, erklärte Professor Mehnert.

Ein Jahr nach den ersten Erfolgen von Banting und Best bringt das Unternehmen Eli Lilly and Company das erste Insulinpräparat in Kanada auf den Markt. In Europa begann die Insulinproduktion bei Hoechst in Frankfurt und beim Nordisk Laboratorium in Dänemark.

Schweine und Rinder als Quelle für Insulin

Heute ist es kaum vorstellbar, dass bei uns keine ausreichende Versorgung von Diabetikern mit Insulin sichergestellt werden kann. Doch das sah zu Beginn noch ganz anders aus. In den ersten Jahrzehnten nach seiner Entdeckung wurde das Stoffwechselhormon ausschließlich aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen hergestellt. Es handelte sich dabei um Schlachttiere. Natürlich konnte so nur eine gewisse Menge an Insulin gewonnen werden. Der immer größer werdende weltweite Insulinbedarf machte jedoch rasch klar, dass es nur noch über einen begrenzten Zeitraum möglich sein würde, mithilfe der natürlichen Ressourcen alle Patienten zu versorgen. Auch wenn die Forschung immer weiter voran schritt, begann aufgrund der knappen Ressource ein Wettlauf gegen die Zeit.

Die Revolution der Insulintherapie

„Deshalb war es ein großer Erfolg, dass in den 1970er-Jahren die gentechnische Synthese des Humaninsulins und später die der Insulinanaloga durch apathogene Escherichia-coli-Bakterien und Hefen ermöglicht wurde“, freute sich Professor Mehnert und ergänzte: „Diese neuen Insuline hatten den Vorteil, dass sie nicht nur die tierischen Insuline mit ihren unterschiedlichen Zusammensetzungen ablösten, sondern dass damit auch – zumindest in unserer Gegend – die Versorgung mit Insulin langfristig sichergestellt wurde.“ Für die Entwicklung der Human und Analoginsuline waren zahlreiche Schritte nötig. So wurde zunächst Humaninsulin auf halbsynthetischem Weg aus sogenanntem Schweineinsulin hergestellt. Dabei wurde die eine Aminosäure, die das Schweineinsulin von humanem Insulin unterscheidet, durch den Einsatz biochemischer Verfahren ausgetauscht. Um ganz unabhängig von tierischen Ausgangsprodukten zu werden, optimierte man die Prozesse immer weiter und war schließlich in der Lage, das Insulinmolekül vollständig gentechnologisch herzustellen. Heute ist die Produktion von Insulin mittels gentechnisch modifizierter Mikroorganismen zum Standard geworden.

Analoginsuline als „humanere“ Lösung

Parallel zum Humaninsulin wurde die Entwicklung von Insulinanaloga vorangetrieben. Dazu Professor Mehnert: „Insulinanaloga wirken humaner als das Humaninsulin.“ Was meint Professor Mehnert damit? Das ist leicht erklärt: Ziel jeder Diabetestherapie ist die Annäherung an die körpereigene Insulinausschüttung. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie mühsam diese Annäherung war. So musste ein Diabetespatient bei der Anwendung von kurzwirksamem Humaninsulin einen zeitlichen Abstand zwischen Injektion und Mahlzeit einhalten, um keine Unterzuckerung zu riskieren.

Verkürzte Wirkzeiten bringen neue Vorteile

Die gentechnologischen Möglichkeiten ermöglichten nun Veränderungen am Insulinmolekül, die das Wirkprofil des injizierten Insulins der natürlichen Insulinwirkung im Körper ähnlicher machten. So „flutet“ analoges Mahlzeiteninsulin rascher an als Normalinsulin und hat eine kürzere Wirkdauer. Mit diesen kurzwirksamen Insulinanaloga können Menschen mit Diabetes, die mit Insulin behandelt werden, auf einen Spritz-Ess- Abstand verzichten. „Die kurzwirkenden Insulinanaloga werden erst unmittelbar vor dem Essen oder sogar nach dem Essen gespritzt. Das ist insbesondere bei alten Menschen und Kindern von Vorteil, wenn die angebotene Kohlenhydratmenge nicht vollständig oder gar nicht eingenommen wurde“, hob Professor Mehnert hervor.

Vermindertes Risiko für Hypoglykämien

Ein zweiter Vorteil der modernen Mahlzeiteninsuline besteht darin, dass die Analoga kürzer wirken. Dadurch vermindert sich das Hypoglykämierisiko etwa drei bis fünf Stunden nach der Mahlzeit. Die Patienten sind mit den neuen Mahlzeiteninsulinen nicht mehr dazu gezwungen, Zwischenmahlzeiten zu sich zu nehmen – sie müssen nicht mehr dem im Körper befindlichen Insulin „hinterher essen“.

Mit den ersten kurzwirksamen Analoginsulinen war somit ein wesentlicher Schritt hin zu einer größeren Flexibilität der Patienten und einem physiologischeren Insulinprofil getan. Heute stehen drei kurzwirksame Insulinanaloga zur Verfügung: Insulin aspart, Insulinglulisin und Insulin lispro.

Wirkprofile der basalen Insuline

Gleichzeitig wurden Analoginsuline entwickelt, die länger und gleichmäßiger wirken als das vielfach verwendete Basalinsulin, das NPHInsulin (Neutrales Protamin Hagedorn). NPH-Insulin muss mindestens zweimal täglich zu einem festen Zeitpunkt injiziert werden und bei der Einstellung auf einen niedrigen Nüchternblutzuckerwert drohen Hypoglykämien. Die Gentechnologie sorgte auch hier für einen entscheidenden Schritt nach vorne: Kleine, aber entscheidende Veränderungen in der Aminosäuresequenz von Humaninsulin führten zum ersten Basalanalogon. Es verfügt im Gegensatz zu NPH-Insulin über ein gleichmäßigeres, flacheres Wirkprofil und eine verlängerte Wirkdauer. Im Handel sind in Deutschland derzeit drei langwirksame Insulinanaloga – Insulin glargin 100 Einheiten/ml, Insulin glargin 300 Einheiten/ml sowie Insulin detemir.

„Damit hat sich das lebensrettende Medikament Insulin vom tierischen Insulin über Humaninsulin zu den heutigen Insulinanaloga entwickelt“, so Professor Mehnert. Seine Begeisterung für eine moderne Insulintherapie fasste er abschließend so zusammen: „Typ-2-Diabetiker müssen nicht Insulin spritzen – sie dürfen es!“