Eine Unterzuckerung richtig einschätzen
Eine Unterzuckerung kann viele Gesichter haben und unterschiedlich stark sein. Wir zeigen, wie Sie die Power einer Hypoglykämie rechtzeitig erkennen können und wie Sie richtig gegensteuern. Text: Aline Müller
Fehler bei der Essensberechnung
Ein häufiger Grund für Unterzuckerungen ist die fehlerhafte Berechnung von Mahlzeiten und die daraus resultierende Überdosierung mit Insulin. Eine regelrechte Fehlerfalle können vor allem Restaurantbesuche oder schwer einzuschätzende Mahlzeiten, wie Aufläufe oder Desserts, sein. Gleiches gilt für Nahrungsmittel mit einem niedrigen glykämischen Index, zum Beispiel Obst und Obstsäfte. Ein weiterer Grund für Unterzuckerungen nach dem Essen sind zu hohe BE-Faktoren. Wenn Sie beispielsweise zwei Einheiten Insulin pro BE spritzen, obwohl Sie nur eine Einheit benötigen würden.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Je höher die Fehldosierung und je insulinempfindlicher Sie sind, desto mehr Power hat die Unterzuckerung. Gefährlich wird es besonders bei großen Insulingaben vor dem Zubettgehen oder in der Nacht: Im Liegen ist die Insulinempfindlichkeit erhöht. Wirkt jetzt noch Insulin in größeren Mengen, dann rasen die Werte schnell in den Keller. Ebenso ist es gefährlich, wenn Sie Insulin spritzen, aber nicht essen. Sei es, weil Sie es vergessen oder daran gehindert werden.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Spritzen Sie nur dann, wenn Sie sich sicher sind, dass Sie auch essen können und vermeiden Sie Ablenkung rund um die Mahlzeiten. Sollte dennoch etwas dazwischen kommen, nehmen Sie Traubenzucker zu sich um den Blutzuckerabfall aufzuhalten. Wenn Sie sich nicht sicher sind, wieviele BE’s eine Mahlzeit hat und Sie nach Gefühl spritzen, dann sollten Sie genau auf die Signale Ihres Körpers achten und lieber eine Kontrollmessung durchführen. Vermeiden Sie große Insulinmengen vor der Nacht. Stellen Sie sich zur Sicherheit den Wecker und messen Sie einmal mehr. Wer schon mit knappen Werten zu Bett geht und weiß, dass noch Insulin wirkt, sollte vorbeugend schnelle BE’s essen. Achten Sie darauf, dass Sie auch nachts immer solche Hypo-BE’s griffbereit haben. Wenn Sie merken, dass Ihre Werte nach den Mahlzeiten immer zu niedrig sind, kann es sein, dass die BE-Faktoren angepasst werden müssen.
Fehlerhafte Basalrate
Unerklärliche Unterzuckerungen am Tag und vor allem in der Nacht können mit einer fehlerhaften Basalrate zusammenhängen. Ist diese zu hoch, dann fällt der Blutzuckerspiegel ständig ab, auch wenn kein zusätzliches Essensinsulin gegeben wurde.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Basalratenfehler schleichen sich meist dadurch ein, dass sich die Insulinempfindlichkeit bei dem Betroffenen ändert. Die Unterzuckerungen haben eher geringe Power, es sei denn, die Basalrate wird stark verändert oder es kommen weitere Faktoren hinzu, die sich blutzuckersenkend auswirken.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Die Basalrate sollte von Ihrem Diabetologen angepasst werden, um den Stoffwechsel wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Akuten Unterzuckerungen wird mit schnellen BE’s entgegengewirkt.
Konsum von Alkohol
Alkohol kann bis zu 30 Stunden nach dem Konsum noch Hypoglykämien hervorrufen und die Hypoglykämiewahrnehmung stören. Durch Alkohol wird die Neubildung von Zucker in der Leber gehemmt. Dem Körper fehlt
somit die Möglichkeit zur Gegenregulation.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Das Risiko und die Power der Unterzuckerung kann sehr hoch sein, da mit dem Alkoholkonsum eine beeinträchtigte Wahrnehmung einhergeht. Zudem hält die Wirkung des Alkohols lange an.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Korrigieren Sie hohe Blutzuckerwerte während sowie nach dem Genuss von Alkohol besonders vorsichtig. Tragen Sie ausreichend schnelle BE’s bei sich, vor allem, wenn Sie sich viel bewegen, zum Beispiel beim Tanzen. Messen Sie regelmäßig Ihren Blutzucker, auch nachts, und essen Sie ausreichend zusätzliche BE’s bei niedrigen Werten. Vor dem Einschlafen sollten Sie auch einen normalen Wert von um die 100 mg/dl (5,6 mmol/dl) noch mit zusätzlichen BE’s abstützen.
Sport und Bewegung
Hausarbeit kann den Blutzucker genauso senken wie anstrengender Sport. Diese sogenannte Bagatellbelastung darf nicht unterschätzt werden. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Blutzucker auch beim Rasenmähen oder Putzen sinkt.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Je mehr Insulin während der Bewegung wirkt, desto höher ist die Power der Unterzuckerung. Zum Beispiel nach dem Essen bis zum Ende der Wirkzeit des Bolus. Die Power ist dabei abhängig von der Insulinmenge und der Zusammensetzung des Essens.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Ist der Blutzucker niedrig hilft nur Essen. Nehmen Sie schnelle BE’s zu sich und stellen Sie die Bewegung ein bis es Ihnen besser geht. Zur Vorbeugung ist eine Sportanpassung nötig. Reden Sie mit Ihrem Diabetologen wie Sie die Insulinmengen anpassen können.
Auftreten von Krankheiten
Durchfall und Erbrechen können verschiedene Ursachen haben. Von Viren bis hin zu Reaktionen auf Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit. Erbrechen kann zudem eine seltene Begleiterscheinung einer Unterzuckerung sein.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Bei Erwachsenen ist es möglich, dass Durchfallerkrankungen Unterzuckerungen mit geringer Power auslösen. Gefährlich wird es hingegen bei Kleinkindern, die bestimmte Durchfallarten über mehrere Tage haben. Bei ihnen kann sich der Insulinbedarf halbieren oder sogar noch weiter sinken. Hier ist meist ein Krankenhausaufenthalt nötig. Erbrechen ist besonders gefährlich, wenn eine Mahlzeit bereits insuliniert wurde. Die Folge sind Unterzuckerungen mit großer Power.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Begleitend zur Therapie muss die Ursache gefunden und falls möglich abgestellt werden. Medikamente wie Imodium oder Vomex können helfen. Messen Sie regelmäßig Ihren Blutzucker (auch nachts) und nehmen Sie schnelle BE’s zu sich. Ein guter Tipp: Trinken Sie zuckerhaltige Getränke in kleinen Schlucken. Bitten Sie eine vertraute Person um Hilfe, denn mit einer Krankheit geht unter Umständen eine Schwäche einher.
Einnahme von Cortison
Cortison ist ein Stresshormon und hat eine blutzuckersteigernde Wirkung, die verzögert nach der Einnahme cortisonhaltiger Medikamente oder nach Injektionen auftritt. Die veränderte Stoffwechsellage erfordert eine zusätzliche Insulingabe.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Wer Insulin spritzt, aber die Einnahme des Cortisons vergisst oder die Medikamentendosis verringert, provoziert eine Unterzuckerung. Diese kann je nach Höhe der Fehldosis viel Power haben.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Rechnen Sie aus, wie hoch Ihre Fehldosis war. Wie viele Einheiten wurden gespritzt und wie viele davon sind für die Cortisongabe nötig gewesen? Anhand Ihrer BE-Faktoren können Sie nun mit schnellen BE’s entgegenwirken. Als Beispiel: Sie haben vier Einheiten gespritzt und vergessen Ihr Cortison zu nehmen. Pro BE spritzen Sie normalerweise zwei Einheiten. In diesem Fall müssen Sie zwei zusätzliche schnelle BE’s essen, um die Fehldosis abzufangen. (Rechnung: Fehldosis (vier Einheiten) geteilt durch BE-Faktor (zwei) gleich zwei zusätzliche BE’s)
Technische Probleme
Diabetiker sind immer abhängig von technischen Geräten. Es kann vorkommen, dass Messgeräte plötzlich einen hohen Wert anzeigen, der unerklärbar ist. Meistens liegt es daran, dass zuckerhaltige Speisereste an den Fingern oder Temperaturschwankungen die Blutzuckermessung verfälscht haben. Wer nun ohne Kontrollmessung den hohen Wert korrigiert, löst eine Unterzuckerung aus. Gleiches gilt für Fehldosierungen mit dem Pen oder der Pumpe: Weil zu viele Einheiten abgegeben oder versehentlich ein kurzwirksames Insulin statt des Verzögerungsinsulins gespritzt wurde.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Je nach Höhe der Fehldosis kann solch eine Unterzuckerung viel Power haben und über einen längeren Zeitraum anhalten. Als Beispiel: Ihr Messgerät zeigt einen Wert von 270 mg/dl (15 mmol/l) an, obwohl er eigentlich bei 100 mg/dl (5,6 mmol/l) liegt. Wenn Sie nun Korrekturinsulin abgeben und sich dann womöglich noch bewegen, kann es gefährlich werden.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Waschen Sie sich immer die Finger vor dem Messen. Führen Sie eine Kontrollmessung durch, wenn Sie sich Werte nicht erklären können und achten Sie auf Warnhinweise Ihres Messgerätes, zum Beispiel bei kalten Temperaturen. Hören Sie auf die Signale Ihres Körpers, auch nach einer Insulingabe. Versuchen Sie die Ursache für die Unterzuckerung zu finden, um gezielt mit schnellen BE’s entgegenzuwirken. Unter Umständen ist eine länger andauernde Überwachung der Werte notwendig. Zum Beispiel, wenn Sie sich statt des Verzögerungsinsulins eine große Menge kurzwirksames Insulin gespritzt habe. Beachten Sie die Wirkdauer des Insulins.
Schwangerschaft und Stillen
Während der Schwangerschaft und beim anschließenden Stillen ändert sich die Insulinempfindlichkeit der Frau. Es gibt drei Phasen in denen vermehrt Unterzuckerungen auftreten: Zwischen der fünften und 14. Schwangerschaftswoche, ab der 35. Schwangerschaftswoche (frühestens) bis spätestens unmittelbar nach der Geburt und während der Stillzeit. Der Insulinbedarf einer stillenden Mutter sinkt mit dem Einschiessen der Milch in die Brüste. Er erhöht sich erst wieder, wenn das Kind abgestillt wird.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Während der Schwangerschaft können Hypoglykämien eine hohe Power haben. Stillende Frauen benötigen bis zu 25 Prozent weniger Insulin. Das Risiko darf nicht unterschätzt werden, denn es können sich sehr schnell schwere Unterzuckerungen mit Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen entwickeln, die nicht nur die Mutter, sondern auch den Säugling gefährden.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Bleiben Sie in engem Kontakt mit Ihrem Diabetologen, der Ihnen hilft, die Basalrate entsprechend anzupassen. Während der Schwangerschaft ist es hilfreich, bei Unterzuckerungen vorsichtshalber eine schnelle BE mehr zu essen als gewohnt. Vor dem Stillen sollten Sie generell ein bis zwei schnelle BE’s als Schutz zu sich nehmen. Eventuell sind noch mehr zusätzliche BE’s nötig, vor allem, wenn zum Stillen noch weitere Faktoren hinzukommen, zum Beispiel eine zuvor falsch insulinierte Mahlzeit.
Hormonausschüttung wärend der Menstruation
Der menschliche Organismus wird unter anderem von Hormonen gesteuert, denn sie regulieren als körpereigene Informationsübermittler unter anderem den Stoffwechsel. Frauen kennen schwankende Blutzuckerwerte im Laufe des Menstruationszyklus.
(Unterzuckerungs-)Risiko:
Tage vor der Menstruation werden zunehmend Östrogen und Progesteron ausgeschüttet, wodurch die Werte steigen. Die Hormonproduktion lässt allerdings plötzlich nach, so dass Frauen am ersten und zweiten Blutungstag durch die gesteigerte Insulinempfindlichkeit zu Unterzuckerungen neigen.
Vorbeugung und Soforthilfe:
Es ist ratsam, einen Menstruationskalender zu führen und in das Blutzuckerprotokoll einzutragen, wann die Blutung eintritt. So können Sie mit der Zeit abschätzen, wie Sie während Ihres Zyklus reagieren und sich auf knappere Werte einstellen. Die Einnahme von Hormontabletten wie der Pille kann helfen, den Zyklus zu stabilisieren. Allerdings muss erwähnt werden, dass jede Einnahme von Hormonen Risiken birgt.