Bessere Gesundheit

Telemedizin in der Diabetologie

Das Thema Telemedizin und Digitalisierung wird aktuell in allen Bereichen der Medizin zum Teil sehr emotional diskutiert. Für die Diabetologie bedeutet Telediabetologie in den kommenden Jahren nicht eine zu diskutierende Chance, sondern die Notwendigkeit, die Versorgung zu sichern und zu verbessern.

Der Diabetologie in Deutschland werden bald viele Ärzte fehlen. Die Ursache dafür liegt in den geänderten Rahmenbedingungen. Das ursprünglich in Australien entwickelte „Diagnosis Related Grouping“-Honorierungssystem (DRG) wurde vor einigen Jahren in Deutschland als Steuerungselement zur Reduktion steigender Kosten im stationären Sektor eingeführt. Während zuvor die Krankenhaushonorierung anhand von Tagespauschalen galt, wird seitdem nur noch die DRG-Fallpauschale verwendet. Auch wenn das primäre Ziel der DRG-Einführung erfolgreich ist und sich die Liegedauer von Patienten im Krankenhaus deutlich verringert hat, ergeben sich für das deutsche Gesundheitssystem enorme Herausforderungen. Die Auswirkungen für den Bereich der Endokrinologie und Diabetologie sind vielfältig und es besteht die Gefahr, dass Versorgungsprobleme nicht nur im stationären Bereich entstehen.

Fokus auf die Hauptdiagnosen

Bedingt durch die DRG-Finanzierung fokussiert man sich bei stationären Aufenthalten primär auf die Hauptdiagnose. Nebendiagnosen wie Diabetes mellitus werden zunehmend weniger beachtet. Auf der anderen Seite haben Volkserkrankungen, wie der Diabetes mellitus, einen erheblichen Einfluss auf den Behandlungserfolg. So ist nach operativen Eingriffen bei unzureichender diabetischer Stoffwechseleinstellung unter anderem die Rate an Wundinfektionen erhöht. Durch ein stringentes Entlassungsmanagement werden diese Komplikationen auf den ambulanten Sektor verlagert. Bei Diabetes mellitus muss man davon ausgehen, dass in Krankenhäusern bis zu einem Drittel der stationären Patienten die „Nebendiagnose“ Diabetes aufweisen. Der Diabetes mellitus als Hauptdiagnose spielt in allgemeinen Krankenhäusern nur noch eine untergeordnete Rolle, da die stationäre Einweisung von Diabetespatienten aufgrund von Stoffwechselentgleisungen an spezielle Kriterien gebunden ist und vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen streng überwacht wird. Dies hat zur Folge, dass sogar renommierte Diabetes- Spezialkliniken oder Abteilungen geschlossen wurden oder man sich auf die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms konzentriert.

Auswirkungen auf die Ausbildung von Ärzten

Die geänderten gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen im stationären Sektor haben jedoch auch erhebliche Auswirkungen auf die Ausbildung von Ärzten, die primär stationär stattfindet. Ohne diabetologische Fachabteilungen in Krankenhäusern findet auch keine Aus- oder Fortbildung statt und ohne diabetologisch spezialisierte Ärzte können Zertifizierungen wie „Klinik für Diabetespatienten geeignet” der Deutschen Diabetes- Gesellschaft nur bedingt flächendeckend funktionieren. Die geringe Zahl an diabetologisch interessierten Ärzten reflektiert sich auch bei den Problemen der Nachbesetzung von diabetologischen Schwerpunktpraxen. Der überwiegende Teil der Personen mit Diabetes mellitus wird von Hausärzten betreut. Auch die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin oder hausärztlichen Internisten findet zum größten Teil im stationären Sektor statt. Wenn dort also das Fach Diabetologie keine Beachtung findet, wird sich auch in diesen Facharztgruppen das Diabeteswissen reduzieren.

Enormer Aufwand für die Pflegeteams

Die steigende Zahl an Personen mit der Nebendiagnose Diabetes in Krankenhäusern stellt einen enormen Aufwand für die Pflegeteams dar. Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht nur jede Blutzuckermessung einen finanziellen Aufwand in Form von Lanzetten und Teststreifen führt, sondern mit einem erheblichen Personalaufwand verbunden ist. Diese Entwicklungen machen es notwendig, neue Versorgungsmodelle zu entwerfen und zu etablieren, bei denen das Fach der Diabetologie im Krankenhaus wieder eine Beachtung findet, um dadurch die Behandlungsqualität zu verbessern.

Zusätzlich müssen solche Modelle einen verantwortungsvollen Einsatz von personellen Ressourcen und Verbrauchsmitteln gewährleisten. Im Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD) wurde in den letzten Jahren ein neues interdisziplinäres und intersektorales Versorgungssystem zur Diabetesbetreuung etabliert. Dabei wurden vom Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum (WDGZ), das eine Fachabteilung im VKKD darstellt, sogenannte „Diabetesmanager“ ausgebildet. Dabei handelt es sich um Krankenschwestern und -pfleger, die die Strukturen in dem jeweiligen Krankenhaus gut kennen und für diese Tätigkeit komplett freigestellt sind. Diese haben täglich engen Kontakt zu den Stationsärzten und Pflegeteams auf allen Bettenstationen und erfassen somit alle Patienten mit der Nebendiagnose Diabetes mellitus. Außerdem kann ein Dia- betes mellitus auch anhand der Diabetesmedikamente identifiziert werden, da der VKKD über ein zentrales System zur patientenbezogenen Medikamentenbestellung in der Zentralapotheke mit Unit-dose-Verpackungssystem verfügt.

Dokumentation durch elektronische Fallakten

Bei jedem Patienten mit bekanntem oder vermutetem Diabetes mellitus wird die diabetologische Anamnese strukturiert erfasst. Dazu wird die elektronische Fallakte „TeDia“ verwendet, die durch den VKKD und NoemaLife GmbH mit finanzieller Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH entwickelt wurde. Diese ermöglicht eine Dokumentation der Abläufe zur Erfassung, Untersuchung und Therapie von stationären Diabetespatienten unabhängig vom vorhandenen Krankenhaus-Informations- System (KIS). Die Diabetesdaten werden durch die Diabetesmanager in mobilen Tablet-PCs am Patientenbett erfasst, die über eine Standard- Schnittstelle mit dem KIS kommunizieren. Damit wird gewährleistet, dass aus dem KIS alle patientenrelevanten Daten übernommen und die Konsil- Ergebnisse inklusive Therapieempfehlung zurück an das KIS übertragen werden. Bei allen so identifizierten Patienten wird durch die Diabetesmanager strukturiert die diabetologische Krankengeschichte und die aktuelle Diabetestherapie erfasst. Wichtige Laborparameter wie der HbA1c oder Serumlipide werden durch das Diabetesteam nachbestellt. Zusätzlich wer- den Patienten auf diabetische Komplikationen untersucht. Alle Daten werden in der TeDia Patientenakte und im KIS dokumentiert.

Telemedizinische Bewertung der Daten

Eine weitere Aufgabe der Diabetesmanager besteht darin, auf den Stationen auf eine strukturierte Blut-Glukosemessung mit Point-of-Care Messgeräten zu achten. Auch die Blutglukosewerte werden mithilfe einer automatischen Datenübertragung ebenfalls in der TeDia Akte und dem KIS abgelegt. Sämtliche Daten werden durch einen Diabetologen oder einen spezialisierten Internisten zusammen mit den Diabetesmanagern bewertet und konkrete Therapieempfehlungen an die jeweiligen Stationsärzte weitergeleitet. Die Bewertung der Daten durch den Diabetologen kann auch telemedizinisch erfolgen, der vor Ort tätige Diabetesmanager stellt das Bindeglied zu den Stationsärzten dar. Patienten mit einer erstmaligen Insulintherapie während des stationären Aufenthaltes werden durch das Diabetesteam geschult und nach der Entlassung, in Absprache mit dem Hausarzt, niedergelassenen Diabetologen zur Weiterbehandlung vorgestellt.

Hoffnung durch ein neues Programm

Lange Jahre ging man davon aus, dass die Diagnose eines Typ-2-Diabetes ein Schicksalsschlag ist, der eine lebenslange Einnahme von Tabletten oder sogar eine Insulintherapie bedeutet. Das WDGZ des Verbundes Katholischer Kliniken Düsseldorf hat in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG) ein innovatives, telemedizinisches Programm zur ambulanten Behandlung des Typ-2- Diabetes entwickelt, das neue Hoffnung für die Betroffenen macht. Das Telemedizinische Lifestyle Programm (TeLiPro) zielt darauf ab, Personen bei der Änderung des Lebensstils zu unterstützen. Dabei erhalten die Teilnehmer Geräte zur Erfassung von körperlicher Aktivität, Gewicht und Blutzucker mit automatischer Übertragung der gemessenen Daten auf ein geschütztes Internetportal. Ärzte und Gesundheitsberater haben Zugriff auf diese Daten und können diese bei der telemedizinischen Beratung mit den Teilnehmern besprechen. Zusätzlich werden weitere Komponenten wie eine strukturierte Blutzuckermessung, eine intensive Ernährungsumstellung sowie ein medizinisches Motivationstraining zur Lebensstiländerung eingesetzt. Das Besondere an diesem Lebensstil-Interventions Programm ist, dass die Wirksamkeit in einer großen Studie nachgewiesen wurde, die im Juli 2017 in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Diabetes Care“ publiziert wurde.

Umsetzung im Gesundheitssystem

Die Umsetzung im deutschen Gesundheitssystem ist in vollem Gange. Das TeLiPro wird von der BKK Deutsche Bank bereits den Versicherten angeboten. Die AOK Rheinland- Hamburg hat mit dem DITG im Herbst 2017 den Zuschlag für eine Förderung einer weitergehenden TeLiPro Studie durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses erhalten. In Zusammenarbeit mit der AXA Krankenversicherung wurde das TeLiPro zum digi-tal.DiabetesCoach weiterentwickelt, das nicht nur Personen mit Typ-2- sondern auch mit Typ-1-Diabetes angeboten wird. Die aktuellen Studien aber auch die Ergebnisse aus der Routine zeigen, dass die Diagnose eines Typ-2-Diabetes keine Einbahnstraße ist, es gibt einen Weg zurück in die Gesundheit!

Fazit:

Zusammenfassend bietet das interdisziplinäre und intersektorale Diabetesversorgungssystem neue Möglichkeiten, auf die geänderten gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen im stationären Sektor zu reagieren. Zusätzlich wird das Wissen zur Behandlung von Diabetes mellitus in Krankenhäusern erhalten. Künftig wird es wichtig sein, dass solche Betreuungssysteme in die Ausbildung von Internisten und Ärzten für Allgemeinmedizin einen festen Platz in der Rotation erhalten. Damit wird möglicherweise Interesse für das Fach Diabetologie geweckt. Durch telemedizinische ambulante Angebote kann es auch gelingen, die Ursachen der Typ-2-Diabetes Erkrankung zu behandeln. Dabei können telemedizinische Angebote eine wichtige Rolle spielen.    

Die Bewertung der Daten durch den Diabetologen kann auch telemedizinisch erfolgen: Der vor Ort tätige Diabetesmanager stellt das Bindeglied zu den Stationsärzten dar.