Besser Messen

Hohe Werte nach dem Essen

Haben Sie schon einmal etwas vom postprandialen Blutzucker gehört? Früher wurde den Blutzuckerwerten nach dem Essen nur wenig Beachtung geschenkt. Heute ist bekannt, dass sich die auftretenden Schwankungen nicht nur auf den Hba1c auswirken können.

Der Blutzucker nach einer Mahlzeit wird auch als PPWert (postprandialer Blutzucker) bezeichnet. Bei stoffwechselgesunden Menschen hält der Körper das Blutzuckerniveau selbst nach einer üppigen Mahlzeit in einem sehr engen Bereich zwischen 90 und 120 mg/dl (5,0 mmol/l und 6,7 mmol/l). Durch eine rasch einsetzende, kräftige Insulinausschüttung werden sogenannte Peaks (Blutzuckerspitzen) verhindert. Die Insulinausschüttung setzt unmittelbar mit der Nahrungsaufnahme ein, so dass sich der Blutzucker nach etwa zwei Stunden ohne starke Schwankungen wieder auf Ausgangsniveau befindet. Dadurch werden nicht nur die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse vor der Toxizität des Blutzuckers geschützt, sondern auch das Endothel der Arterien (die Schicht, die die Arterien von innen auskleidet). Studien zeigen, dass ein Defizit der frühen Insulinantwort bereits in den Diabetesvorstadien besteht. Dabei entwickelt es sich parallel zur Insulinresistenz, also der Unterempfindlichkeit des Körpers gegenüber Insulin. In Folge dessen treten sowohl hohe postprandiale Blutzuckerspitzen (Peaks) als auch ein langanhaltender erhöhter Insulinspiegel im Blut (Hyperinsulinämie) auf. Inzwischen steht fest, dass hohe PPWerte ein Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen und weitere Folgeschäden darstellen.

Einfluss auf den HbA1c

Lange Zeit wurde den postprandialen Blutzuckerwerten nur wenig Beachtung geschenkt. Doch selbst wenn die Blutzuckerspitzen nach dem Essen nur von kurzer Dauer sind, können sie in der Summe über Tage oder Wochen den HbA1c erhöhen. Nun ist es so, dass die meisten Diabetiker ihren Blutzucker zwar vor der Mahlzeit messen, anschließend aber über mehrere Stunden keine weitere Kontrolle erfolgt. Ist der Blutzuckerwert bei der folgenden Messung im Normalbereich oder nur leicht erhöht, dann heißt das allerdings nicht, dass kein starker Anstieg nach dem Essen stattgefunden hat. Peaks bleiben so häufig unbemerkt. Allein am HbA1c lassen sich Schwankungen nicht eindeutig erkennen, es kann sogar sein, dass zwei Menschen mit demselben Langzeitwert unterschiedlich gut, beziehungsweise schlecht eingestellt sind.

Kurzfristiges Handeln sorgt für Chaos. Stellen Sie sich Folgendes vor: Ihr Blutzuckerwert vor dem Essen ist in Ordnung. Sie spritzen sich den üblichen Nahrungsbolus und messen am Ende der Wirkdauer des Bolusinsulins erneut einen guten Blutzuckerwert. Am nächsten Tag führen Sie ein bis zwei Stunden nach der Mahlzeit eine Kontrollmessung durch und sind erschrocken, dass der Wert auf über 200 mg/dl (11,1 mmol/l) angestiegen ist. Doch selbst wenn die Blutzuckerwerte nach Ende der Insulin-Wirkdauer wieder normal sind, liegt bei einem erhöhten postprandialen Blutzucker ein nicht optimales Therapieverhalten vor, das zu weiteren Fehlreaktionen führen kann. Ein hoher PP-Wert verleitet zu kurzfristigem Handeln, nämlich der Verabreichung eines zusätzlichen Korrektur-Bolus. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass nach etwa zwei Stunden keine nahrungsbedingte Blutzuckererhöhung mehr erfolgt, aber eine Blutzuckersenkung durch den Nahrungsbolus zu erwarten ist. Unterzuckerungen können die Folge sein. Wenn Sie nun häufiger erhöhte PPWerte feststellen, gerät nicht selten die gesamte Therapieführung durcheinander. Womöglich vermuten Sie einen absoluten Insulinmangel und erhöhen den BE-Faktor oder spritzen mehr Korrekturinsulin. Auf Dauer steigt also die Insulinmenge, obwohl kein Insulinmangel vorliegt, denn bevor Sie die PP-Werte kontrolliert haben, war der Blutzucker am Ende der Insulin-Wirkdauer ohne zusätzliches Eingreifen im Normalbereich. Doch wie kann erhöhten Werten nach dem Essen gegengesteuert werden, ohne Korrektur- oder BE-Faktoren erheblich zu verändern?

Auf die richtigen Nahrungsmittel setzen

Bevor konkrete Lösungsvorschläge erörtert werden, noch einmal eine kurze Zusammenfassung: In unserem Beispiel ist der Insulinbedarf in den ersten beiden Stunden größer, als das Angebot an Insulin. Demnach befindet sich zu wenig Insulin im Blut. Allerdings ändert sich diese Tatsache in den folgenden Stunden, denn da sich die Werte über die Zeit wieder normalisieren, war die verabreichte Gesamtinsulinmenge genau richtig. Die Lösung liegt also nicht darin, mehr Korrektur- oder Mahlzeiteninsulin zu spritzen, sondern, die zeitliche Diskrepanz zwischen Insulinbedarf und – angebot zweckmäßig zu beeinflussen. Dazu ist es wichtig, die Nahrungsmittelzusammensetzung zu kennen.

Sogenannte schnell resorbierbare Kohlenhydrate haben meist einen hohen Anteil an Einfach- beziehungsweise Zweifachzuckern und erzeugen einen kurzfristigen, deutlichen Blutzuckeranstieg. Die Resorptionsgeschwindigkeit und der nachfolgende Anstieg können durch komplexere Kohlenhydrate, einem hohen Ballaststoffanteil, so wie einem höheren Fett- und Eiweißanteil in der Nahrung verlangsamt werden. Entscheidend ist hier der geringere glykämische Index (GI). Unter diesen Umständen ist der Insulinbedarf unmittelbar nach dem Essen geringer und der Blutzuckeranstieg bei gleicher Insulindosis weniger stark ausgeprägt. Greifen Sie statt zum normalen Brötchen mit Honig oder Marmelade also lieber zum Vollkornbrötchen mit Frischkäse und Gurke. Wer gerne Müsli oder Cornflakes frühstückt, sollte beachten, dass beide Produkte je nach Inhaltsstoffen einen hohen glykämischen Index haben. Sorgen Sie für eine ballaststoffreiche, ausgewogene Ernährung und werfen Sie immer wieder einen Blick in eine GI-Tabelle.

Insulin zur richtigen Zeit

Neben der Dosis beeinflusst auch der Injektionszeitpunkt die Insulinwirkung. Leider wird diese Tatsache zu oft vernachlässigt. Doch, egal was und wie viel Sie spritzen, Insulin benötigt immer eine gewisse Zeit, bis es aus dem Unterhautfettgewebe über die Blutbahn zu seinem Wirkort, nämlich an die Körperzelle, gelangt und dort das Einströmen der Glukose in die Zelle auslöst. Der richtige Spritz-Ess- Abstand (Drück-Ess-Abstand bei einer Pumpentherapie) ist somit von entscheidender Bedeutung.

Selbst bei schnellwirkenden Insulinanaloga raten Experten insbesondere am Morgen und bei steigendem Blutzuckertrend zu einem Abstand von mindestens fünf bis zehn Minuten. Der PP-Wert ist ein wichtiger Indikator, der zeigt, ob der Spritz-/Drück-Ess- Abstand richtig gewählt wurde. Dieser wird von der Wirkweise des jeweiligen Insulins beeinflusst. Dazu gehört der Wirkungseintritt ebenso wie die Wirkdauer. Aber auch die BE-Anzahl, der glykämische Index und der Ausgangsblutzuckerwert spielen eine Rolle. So wird bei einem erhöhten Wert vor einer Mahlzeit eine deutliche Verlängerung des Abstandes empfohlen. Liegen die Werte zuvor unter dem Normbereich, dann sollte erfahrungsgemäß eine Injektion besser während statt nach dem Essen erfolgen. Ebenso kann eine Unterzuckerung zunächst mit schnellen Kohlenhydraten wie Traubenzucker behoben werden, bevor die anstehende Mahlzeit wie gewohnt insuliniert wird. Generell lassen sich unerwünschte Blutzuckerspitzen durch die Anwendung kurzwirksamer Analoga besser verringern als mit Normalinsulin.

Wenn die Blutzuckerwerte schwanken gerät nicht selten zu schnell die Basalrate als Übeltäter ins Visier. Auf den ersten Blick mag es für Diabetes- Patienten durchaus logisch erscheinen, dass ein Anheben der Gesamtinsulinmenge einzelne Blutzuckerspitzen verhindern kann. Doch hohe Werte nach dem Essen dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Denken Sie daran, dass Ihnen ohne die Messung der PP-Werte so mancher Peak womöglich gar nicht aufgefallen wäre. Hätten Sie dennoch an Ihrer basalen Insulinversorgung gezweifelt? Um den Stoffwechsel wieder ins Gleichgewicht zu bringen, muss also an den richtigen Schrauben gedreht werden.

Um die Therapieanpassung zu erleichtern, sind gewisse Daten nötig. Führen Sie deshalb Protokoll – und zwar nicht nur über Blutzuckerwerte und Insulinmengen, sondern auch über den Spritz-/Drück-Ess-Abstand, die gegessenen Nahrungsmittel und die Menge der Kohlenhydrate. In manchen Fällen kann ein Wechsel des Insulins helfen, die Therapie zu optimieren. Veränderungen fordern Zeit und Geduld. Jedoch sollte immer ein langfristiger Erfolg das Ziel sein.