Mehr Bewegung

Yoga bei Diabetes

Zehn bis 15 Prozent aller Diabetesfälle sind laut Weltgesundheitsorganisation allein auf Bewegungsarmut zurückzuführen. Aber: 60 Prozent der Weltbevölkerung bewegt sich weniger als eine halbe Stunde täglich, ein Zehntel aller Menschen überhaupt nicht. Kann Yoga also bei Diabetes helfen und wenn ja, wie? Text: Dagmar Möbius

Wer sich bewegt, beeinflusst Blutzucker, Blutdruck, Cholesterinspiegel und Insulinresistenz positiv. „Um die Gesundheit zu erhalten oder zu verbessern, genügt eine geringe körperliche Aktivität. Sie muss aber regelmäßig sein und im Prinzip lebenslänglich aufrechterhalten werden“, erklärt die Diabetes-Stiftung und empfiehlt: Treppe statt Fahrstuhl, Radfahren statt Auto. Gartenarbeit oder Spazierengehen mit dem Hund. Mindestens drei mal 30 Minuten pro Woche, besser täglich 30 bis 60 Minuten.

Einfach, erlebnisreich, ergebnisorientiert

Die meisten zertifizierten Schulungsprogramme für Diabetiker thematisieren körperliche Aktivität. Im Idealfall wird auch ein Bewegungsplan erstellt. Doch im Verhältnis zu Ernährungsthemen sei Bewegung deutlich unterbelichtet, moniert Dr. Peter Zimmer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Sport der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. „Dabei ist Sport, möglichst frühzeitig nach Manifestation eingesetzt, Therapeutikum und Schiene zu einer Verhaltensänderung, bei dem Lebensfreude und Spaß groß geschrieben werden und Wettbewerb außen vor bleibt.“ Das Pilotschulungsprojekt DiSko ermuntert seit 2007 mit erlebnispädagogischen Elementen Diabetiker zum Sport. In vier Phasen werden Körperwahrnehmung geübt, Gruppengespräche geführt, Ausdauer trainiert und die Lebensstiländerung verinnerlicht. Die Methode: einfach, erlebnisreich, ergebnisorientiert.

Yoga erfüllt diese Voraussetzungen ebenfalls. Doch spezialisierte Angebote für Diabetiker sind rar. Das ergab eine eigene, nicht repräsentative Umfrage unter deutschen Yoga-Lehrern und in renommierten Diabetes-(Reha-) Kliniken. Zwar bieten zahlreiche Gesundheits- und Fitnessstudios Yogakurse an, doch auf das von der AG Diabetes und Sport der DDG, diabetesDE und TÜV Rheinland verliehene Qualitätssiegel „Fitness-Training für Diabetiker“ können momentan weniger als 25 zertifizierte Einrichtungen bundesweit verweisen (Stand März 2013). Inzwischen widmen sich mehrere Weiterbildungsanbieter verstärkt den Aspekten körperlicher Aktivität in der Diabetesprävention. So befassen sich künftige Präventionsmanager am Dresdner Tumaini-Institut mit unterschiedlichen Bewegungsarten – insbesondere mit Dehnungs- und Entspannungsanteil.

Yoga ist Bewegung und Entspannung

Yoga ist eine jahrtausendealte indische Lehre – keine Religion, wie man zuweilen liest. Übungen, sogenannte Asanas, sollen Körper, Geist und Seele in Einklang bringen. Yoga baut Stress ab, fördert eine gesunde Körperhaltung und verbessert die Beweglichkeit. Der bedeutende indische Yogalehrer B.K.S. Iyengar erklärt es so: „Yoga ist die Methode, durch die der unstete Geist beruhigt und die Energie in schöpferische Bahnen gelenkt wird.” Dabei versteht sich „Yoga nicht als Rückzug von dieser Welt, sondern ist immer mit dem Alltäglichen verbunden“, betonte die italienische Yogalehrerin Vanda Scaravelli.

Es gibt unzählige Yogaformen, Stile und Traditionen. Hatha-Yoga ist in der westlichen Welt am bekanntesten. „Es ist die einzige Yogaform, die sich mit der Disziplin des Körpers befasst und die Selbstheilungskräfte aktiviert“, sagt Cornelia Groß, Geschäftsführerin des 1. Yoga- und Vitalzentrums Medita in Dresden.

Yoga bei Diabetes – hilft das?

Weltweit liegen mehrere tausend wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Yoga vor. Bereits 1980 wiesen indische Wissenschaftler nach, dass Menschen mit Diabetes durch Yoga ihren Blutzuckerspiegel und den Harnzuckergehalt deutlich senken konnten. Bei 70 Prozent reduzierte sich das Gewicht

Einer Studie des Fred Hutchinson Krebsforschungszentrums in Seattle zufolge profitierten vor allem übergewichtige Männer und Frauen zwischen 45 und 55 von regelmäßigen Yogaübungen. Die Yogapraxis hatte einen weiteren Nebeneffekt: Sie erhöhte die Achtsamkeit beim Essen. Die Klienten aßen bewusst und hörten auf, wenn sie den Sättigungseffekt spürten.

Eine Studie der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel-Krankenhaus Berlin-Wannsee wies nach, dass Yoga bei gestressten Frauen effektiv ist. In einem Iyengar- Yogakurs hatten die durchschnittlich 38 Jahre alten Frauen zweimal wöchentlich 1,5 Stunden vorwiegend Vorwärtsbeugen, Stehhaltungen und den Schulterstand geübt. Nach drei Monaten war die Cortisol-Konzentration im Blut auffallend gesunken. Warum Yoga gut für die körperliche und mentale Gesundheit ist, ist noch nicht ganz klar.

Forscher der Universität Oslo fanden jedoch heraus, dass Yoga auch auf Zellen des Immunsystems wirkt. Sie wiesen nach, dass Yoga 111 Gene veränderte, während Musik und Spaziergänge nur 38 Gene beeinflussten. Daraus folgern die Wissenschaftler eine Langzeitwirkung durch Yoga auf die molekulare Ebene. Eine aktuelle Studie der Universität Kalifornien ergab, dass Yoga mehr Unterhautfett reduzieren kann als einfaches Stretching. Diabetes-Experten wie der Düsseldorfer Professor für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie, Werner A. Scherbaum, befürworten Yoga anhand der Studienlage „als effektive Therapie zur Verminderung des oxidativen Stress bei Typ-2-Diabetes“.

Yoga ist Erfahrung

Yoga eignet sich für jeden, auch für Schwangere und Menschen mit Diabetes. „Genauso individuell sollte der Yogaunterricht auch stattfinden“, sagt die Berliner Yogatherapeutin Roswitha Aengenheyster. „Man muss probieren, was passt und sich an den Möglichkeiten der Person orientieren. Yoga ist Erfahrung, alles ist möglich.“ Auf Besonderheiten wie Erkrankungen gehen Yogalehrer ein.

Der Wettbewerbsgedanke ist dem Yoga fremd. Anfänger fürchten sich häufig vor akrobatischen Verrenkungen. Das ist unnötig: „Man muss erst mal Ruhe in die Bewegung bringen.“ Jede Yogastunde beginnt mit einer Entspannungsübung. Leichte Erwärmungsasanas lockern die Schultergelenke, Nacken oder Beine. Die Atmung wird immer mit der Bewegung koordiniert und soll bewusst wahrgenommen werden. Das fällt anfangs vielen Übenden schwer. Aber mit zunehmender Praxis bessert sich die Konzentrationsfähigkeit. „Der Lehrer gibt Impulse. Je individueller die Praxis, desto wirkungsvoller für den Menschen.“ Für Übergewichtige empfiehlt sich ein besonders sanfter Einstieg. Dabei können auch Hilfsmittel wie Hocker eingesetzt werden. Sie sollten sich Yoga nicht aus Büchern oder von DVDs aneignen.

Das richtige Yoga für jeden

Ob Yoga in der Gruppe oder im Einzelunterricht gelernt wird, richtet sich nach den Zielen des Übenden. Der Schwerpunkt liegt auf Asanas für den Rücken, für bewegliche Gelenke, gedehnte Sehnen und Bänder sowie für eine kräftige Muskulatur. Wichtig: „Wir passen nicht die Menschen an die Übung an, sondern umgekehrt“, so Roswitha Aengenheyster. Es gibt unzählige Varianten. Sie können Einzelübungen kombinieren oder intensive Übungsreihen wie den dynamischen Sonnengruß absolvieren. Grenzen können Sie nach und nach erweitern. „Meiner Erfahrung nach eignet sich Yoga als Bewegungseinstieg für viele Menschen besser als ein Fitnessstudio, weil sie sich dort oft überfordert fühlen.“ Meditieren würde die auch als Coach Tätige mit Anfängern noch nicht. „Es gehört viel Übung dazu, bevor man mit der Atmung zurechtkommt“, begründet sie. Am Ende jedes Kurses wird eine Entspannungsübung durchgeführt.

Für Fortgeschrittene empfiehlt Yoga-Vidya, Europas größtes Zentrum für Yoga, Meditation und Ayurveda, je 105 Minuten lange Übungsreihen. Die für Diabetiker geeigneten Reihen harmonisieren die Hormondrüsen beziehungsweise helfen, Bauchspeck und Fett deutlich zu reduzieren.

Versuch macht klug

Der ganzheitliche Ansatz des Hatha-Yoga erlaubt, auf die Möglichkeiten jedes Übenden individuell einzugehen. Kurse finden in Yogastudios, an Volkshochschulen oder bei Fitness- und Gesundheitsanbietern statt. Fast alle Krankenkassen bezuschussen Yogakurse oder übernehmen die Kosten sogar komplett. Seriöse Yogalehrer geben gern Auskunft über ihre Ausbildung, Erfahrung und Zugehörigkeit zu Berufsverbänden. Fast alle bieten regelmäßig Schnupperstunden an. „Es ist schön, mit Yoga anzufangen, Erfolge sind schon bald erlebbar“, ist Yoga-Lehrerin (BYV/EYV) Maren Hofmann überzeugt. Oder wie es der dänische Yoga-Pionier Swami Janakananda einmal formulierte: „Meditation und Yoga ist etwas, das du tust. Was nützt es, über etwas zu reden, was du nur gelesen hast? Erfahrung kommt durch Praxis.“ Der Vorteil bei Yoga: Hat man es einmal erlernt, kann man es überall praktizieren und bis ins hohe Alter beweglich bleiben. Das kostet nur ein wenig Überwindung.