Bessere Gesundheit

Orale Antidiabetika

„Zuckertabletten“ (Fachbegriff: orale Antidiabetika) sind neben Ernährungsumstellung und mehr Bewegung die Basis jeder Therapie bei Typ-2-Diabetes. Den Wirkstoff Metformin bekommen fast alle. Reicht Metformin alleine nicht mehr aus, stehen eine ganze Reihe von Wirkstoffen zur Auswahl. Text: Monika Walter

An Allerheiligen trifft sich Familie Hinterseher in Niederbayern: Im Anschluss an den kurzen Gottesdienst und den Gräberrundgang geht es schnell zum Dorfwirt gleich neben dem Friedhof – der gemütliche Teil kann beginnen. Getafelt wird nach alter Tradition: Schweinebraten und Knödel mit viel Sauce oder ein großes Wiener Schnitzel mit reichlich Pommes als Beilage. Keiner mag im Kreise der Verwandtschaft zugeben, dass er zuhause längst lieber Saltimbocca, Asiapfanne oder Kartoffeln mit Quark isst.

Aber als die Bedienung dann noch Apfelstrudel und Käsekuchen zum Nachtisch anbietet, rückt Josef als erster heraus mit der Sprache… „Naja, das mit dem Schweinebraten geht ja mal ausnahmsweise, aber jetzt noch Kuchen – da wäre meine Bauchspeicheldrüse dann doch überfordert! Mein Arzt hat nämlich letzten Winter einen Diabetes bei mir festgestellt. Jetzt nehme ich jeden Tag Zuckertabletten (orale Antidiabetika) ein.“ Theresa meint: „Sag mal hast du auch abgenommen? Steht dir gut!“ „Stimmt, der Arzt hat mir geraten, meine Ernährung umzustellen und mich ein bisschen mehr zu bewegen. Ehrlich gesagt, fühle ich mich deutlich besser, seit ich drei Kilo weniger auf die Waage bringe. Und die langen Spaziergänge im Wald tun auch meiner Seele gut!“

Metformin für (fast) alle

„Basis jeder Behandlung eines Typ-2-Diabetes ist eine vernünftige Ernährung, Gewichtskontrolle und ein Mehr an Bewegung. Lässt sich damit keine zufriedenstellende Verbesserung der Stoffwechselsituation erreichen, erhalten fast alle Patienten den Wirkstoff Metformin“, erklärt der Diabetologe Dr. Tobias Wiesner aus Leipzig.

Metformin ist eine der am längsten bekannten und am häufigsten verabreichten blutzuckersenkenden Substanzen, die sich als Tabletten (orale Antidiabetika) einnehmen lassen. Der Wirkstoff vermindert die Glukoseproduktion in der Leber, verzögert die Glukoseaufnahme in die Darmzellen und reduziert die Insulinresistenz – d. h., körpereigenes Insulin kann besser wirken. Über welche Mechanismen Metformin seine Wirkung im Detail vermittelt, ist immer noch nicht ganz geklärt – und das, wo Metformin schon so lange bekannt ist. Die großen Pluspunkte von Metformin: Es ruft keine Unterzuckerung hervor und führt nicht zur Gewichtszunahme. Metformin ist im Allgemeinen gut verträglich, Nebenwirkungen betreffen vor allem den Magen-Darm-Trakt – z. B. kann es zu Übelkeit, Blähungen oder Durchfall kommen. Diese Probleme lassen sich aber durch eine langsame Steigerung der Dosis zu Beginn der Behandlung oft umgehen.

Typ-2-Diabetes liegt in den Genen

Typ-2-Diabetes hat eine erhebliche erbliche Komponente – oft sind deshalb mehrere Verwandte von der Stoffwechselerkrankung betroffen. Wie bei Familie Hinterseher: Andrea, die ältere Schwester von Josef, nimmt schon seit fünf Jahren Metformin ein. Vor einem Jahr hat ihr der Arzt zusätzlich einen Wirkstoff verordnet, der Glimepirid heißt. „Mit dem Metformin bin ich die ersten Jahre gut hingekommen, dann aber ist der Blutzucker doch wieder angestiegen und mein Arzt meinte, es sei an der Zeit mehr zu tun.“ Dazu Dr. Wiesner: „Der Typ-2-Diabetes ist eine chronische, langsam voranschreitende Erkrankung. Die Gabe von Metformin alleine reicht irgendwann nicht mehr aus, um den Blutzucker zufriedenstellend zu kontrollieren. Die Therapie muss dann um einen weiteren Wirkstoff ergänzt werden. Das Metformin bleibt auch in den fortgeschrittenen Stadien des Typ-2-Diabetes Basis der medikamentösen Behandlung.“

Sulfonylharnstoffe regen Insulinausschüttung an Glimepirid gehört zur Gruppe der Sulfonylharnstoffe. Andere bekannte Wirkstoffe dieser Gruppe sind Glibenclamid und Glipizid. Diese Substanzen führen unabhängig von der Blutzuckerkonzentration zu einer Ausschüttung von Insulin durch die Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Sie können deshalb nur eingesetzt werden, solange die Bauchspeicheldrüse noch Insulin produzieren kann. Vorteilhaft an den Sulfonylharnstoffen ist, dass sie den Blutzuckerspiegel effektiv senken und dass man schon viel Erfahrung mit diesen Substanzen hat. Nachteilig ist, dass sie Unterzuckerungen hervorrufen können. Häufig sind Sulfonylharnstoffe außerdem mit einer Gewichtszunahme verbunden.

Da meldet sich Hans, der Cousin von Josef und Andrea, zu Wort: „Ich bin eigentlich in der gleichen Situation wie Andrea: Bis vor einem halben Jahr bin ich gut mit dem Metformin alleine ausgekommen. Aber dann war es nicht mehr gut genug. Mein Arzt hat mir aber einen DPP-4-Hemmer verschrieben.“

DPP-4-Hemmer – ein cleveres Wirkprinzip

Im Vergleich zu Metformin und Sulfonylharnstoffen sind DPP-4-Hemmer sehr moderne Wirkstoffe und nutzen ein cleveres Wirkprinzip: Der gesunde Körper produziert im Darm Hormone, die man Inkretine nennt. Steigt nach der Nahrungsaufnahme der Blutzuckerspiegel an, sorgt eines dieser Inkretine – das GLP-1 – dafür, dass der Körper vermehrt Insulin produziert und ausschüttet. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel wieder ab. Nach getaner Arbeit wird das GLP-1 vom Körper durch ein Enzym (es heißt DPP-4 ) rasch abgebaut. Wird ein Wirkstoff eingenommen, der dieses Enzym hemmt, bleibt die Wirkung von GLP-1 länger erhalten.

Da das Wirkprinzip blutzuckerabhängig ist, es also bei niedrigen Blutzuckerspiegeln nicht zur Ausschüttung von Insulin kommt, sind Unterzuckerungen bei der Einnahme von DPP-4-Hemmern selten. Ein weiterer Vorteil der DPP-4-Hemmer ist, dass sie nicht zur Gewichtszunahme führen. Wirkstoffe dieser Gruppe sind z.B. Sita-gliptin oder Saxagliptin.
„Bei der Auswahl eines bestimmten Wirkstoffs für einen individuellen Patienten müssen eine Reihe von Faktoren berücksichtigt werden. Es gibt bisher keine Wirkstoffkombination, die für alle Patienten gleichermaßen geeignet ist“, macht Dr. Wiesner deutlich.

„Mein Arzt meinte damals, er würde mir den DPP-4-Hemmer verordnen, weil mein HbA1c nicht so dramatisch hoch sei und weil ich doch als Busfahrer arbeite und nichts einnehmen darf, was mein Risiko für eine Unterzuckerung erhöht“, berichtet Hans von dem Gespräch mit seinem Arzt.

Den Zucker über die Niere ausscheiden

Jetzt meldet sich Werner zu Wort: „DPP-4-Hemmer, das klingt ja schon ganz schön kompliziert, aber ich sage euch, das geht noch schlimmer. Mein Zucker war auch aus dem Ruder gelaufen – und das obwohl ich schon zwei verschiedene Zuckertabletten einnehme. Aber was spritzen, das wollte ich auf gar keinen Fall. Und da hat mein Arzt mir einen SGLT2-Inhibitor verordnet. Was für ein kompliziertes Wort – ich kann´s immer noch kaum aussprechen!“

SGLT2-Hemmer sind die jüngsten blutzuckersenkenden Substanzen, die als Tablette geschluckt werden können. Sie verfügen über ein Wirkprinzip, das unabhängig von der Insulinausschüttung der Bauspeicheldrüse funktioniert. Im Zentrum des Geschehens steht dabei die Zuckerausscheidung über die Niere: Bei Gesunden sorgt die Niere dafür, dass der Körper nicht zuviel Glukose und Salz über den Urin ausscheidet. Sie hat dafür bestimmte Eiweißstoffe (sie heißen SGLT2), die für den Rücktransport der Glukose aus dem Primärharn verantwortlich sind. Unterdrückt man diesen Rücktransport mit einem SGLT2-Hemmer, scheidet der Körper überschüssigen Zucker einfach mit dem Urin aus. Pluspunkt dieser Wirkstoffgruppe ist das insulin-unahängige Wirkprinzip, das Unterzuckerungen verhindert. Außerdem führen SGLT2-Hemmer oft zu einer Gewichtsabnahme. Nachteilig ist, dass man noch nicht soviel Erfahrung mit diesen Wirkstoffen hat. Insbesondere bei adipösen Patienten kommt es unter SGLT2-Hemmer häufiger zu Genitalinfektionen, die sich jedoch meist einfach behandeln lassen.

„Die Tatsache, dass der Typ-2-Diabetes immer weiter voranschreitet, bringt es mit sich, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, ab dem orale Antidiabetika das Problem nicht mehr ausreichend beherrschen können. Wann das genau ist, kann man schlecht vorhersagen, da hierfür zahlreiche Faktoren – u. a. die genetische Veranlagung eines Menschen – eine Rolle spielen. Aber auch wenn orale Antidiabetika „ausgereizt“ sind, gibt es zahlreiche gute Behandlungsmöglichkeiten. Der Arzt wird hier gemeinsam mit dem Patienten nach der individuell besten Lösung suchen. Oft sind die Patienten am Ende erstaunt, wie unkompliziert eine Therapie mit einem GLP-1-Analogon, das auch gespritzt werden muss, oder mit einem Basalinsulintherapie sein kann“, macht Dr. Wiesner Mut und ergänzt: „Die intensive Forschung im Bereich des Diabetes lässt außerdem darauf hoffen, dass in den nächsten Jahren weitere neue Wirkprinzipien entwickelt und für die Therapie der Patienten zur Verfügung stehen werden.“