Besser Messen

Kindern früh helfen

Eine Fettstoffwechselstörung im Kleinkindalter tritt wesentlich häufiger auf, als bisher vermutet. Das ist das erste Ergebnis einer Studie, die sich mit der Früherkennung von Typ-1- Diabetes und familiärer Hypercholesterinämie in Niedersachsen beschäftigt.

Typ-1-Diabetes (T1D) ist die zweithäufigste chronische Erkrankung im Kindesalter. In Deutschland sind rund 30.000 Kinder von einer Erkrankung betroffen, die noch nicht heilbar ist und für die Betroffenen und deren Familien eine deutliche Umstellung ihrer Lebensweise bedeutet. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt jährlich um 3 bis 4 Prozent. Insbesondere im Vorschulalter steigt sie mit 5 bis 7 Prozent dramatisch an. Vorteil der frühen Diagnose ist die Verhinderung einer diabetischen Ketoazidose (Stoffwechselentgleisung mit Übersäuerung des Blutes bei Insulinmangel).

Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) stellt daneben eine wichtige genetisch-bedingte Ursache für eine vorzeitige Erkrankung der Herzkranzgefäße dar. Aktuelle Studien zeigen, dass die Häufigkeit einer FH in den europäischen Ländern massiv unterschätzt wird. Obwohl eine große Zahl junger Erwachsener betroffen ist, wird bei weniger als einem Prozent die FH rechtzeitig erkannt und behandelt. Bei Früherkennung und Behandlung kann einer sich rasch entwickelnden Arterienverkalkung vorgebeugt werden.

Eine solche Früherkennung ist beispielsweise die Fr1dolin-Studie. Mit ihr wird aktuell allen Eltern in Niedersachsen angeboten, mit Hilfe der niedergelassenen Kinderund/ oder Hausärzte ihr Kind kostenlos auf die zwei chronischen Krankheiten Typ-1-Diabetes (Zuckerkrankheit) und familiäre Hypercholesterinämie (Fettstoffwechselstörung) testen zu lassen. Bis heute haben bereits über 1.000 Kinder teilgenommen. „Wir sind erfreut, wie gut unser Vorsorgeangebot von den Eltern in Niedersachsen angenommen wird“ sagt Frau Prof. Dr. Olga Kordonouri, Leiterin der Fr1dolin-Studie. „Überrascht hat uns dabei die hohe Zahl von Kindern, bei denen frühzeitig eine Fettstoffwechselstörung festgestellt wurde, die gut behandelt werden kann. Wir hatten unter 1.000 Kindern 3 erwartet, nun haben wir 10mal mehr Betroffene festgestellt.“ Beim Typ-1- Diabetes ist unter den 1.000 Probanden jedes 300ste Kind betroffen. „Erfreulich und erwartungsgemäß niedrig ist die Anzahl der Kinder, bei denen ein frühes Stadium eines Typ-1-Diabetes vorliegt“, sagt Prof. Dr. Thomas Danne, Leiter des Diabetes-Zentrums AUF DER BULT.

Ziel von Fr1dolin ist es, 100.000 Kinder zu untersuchen. Dies erfolgt im Rahmen der U7a, U8 oder U9-Vorsorge- Untersuchungen oder anderer Arztbesuche. Kindern zwischen 2 und 6 Jahren wird nach der Einwilligung durch ein Elternteil circa 300 μl Kapillarblut abgenommen und ins Studienzentrum AUF DER BULT geschickt. Wird die Diagnose eines frühen Typ-1-Diabetes oder einer familiären Hypercholesterinämie gestellt, werden die Kinder zeit- und wohnortnah von Expertenteams zur jeweiligen Erkrankung beraten und praktisch geschult (Symptome, Risiken, Kontrolluntersuchungen, therapeutische Möglichkeiten, Gestaltung des Alltags und Begleitung des Kindes), die gemeinsam mit den Kinder- und Hausärzten die Betreuung übernehmen. Auch weiteren Familienmitgliedern (z.B. Eltern und Geschwister) wird eine Untersuchung angeboten. Im Rahmen der Studie werden auch mögliche Belastungen der Familie durch die Diagnose erfasst und individuelle Unterstützung angeboten.

„Eltern, die sich entschieden haben, ihre Kinder untersuchen zu lassen, sahen darin eine Chance für die Gesundheit ihres Kindes. Aus dem seit drei Jahren in Bayern durchgeführten Screening auf einen frühen Typ-1-Diabetes wissen wir, dass gerade die Familien, bei deren Kind die Erkrankung frühzeitig festgestellt wurde, nach dem ersten Schrecken schnell gelernt haben, gut für ihr Kind zu sorgen. Sie haben Sicherheit gewonnen und würden anderen Eltern die Teilnahme an dem Screening empfehlen. Wichtig war ihnen, dass sie gut informiert und durch ein erfahrenes Behandlungsteam begleitet werden“, sagt Professor Karin Lange, Leiterin der Medizinischen Psychologie der MHH.

Früherkennung dank Telemedizin

Ein anderes Projekt zur Früherkennung wird gerade in Bayern praktiziert. „Pädexpert“ vernetzt dabei niedergelassene Kinder- und Jugendärzte mit (nicht nur Diabetes-)Experten. Mit dem vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte eingeführten Expertenkonsil können die Kinderärzte diese Fälle online einem Spezialisten vorstellen und innerhalb von 24 Stunden mit der Abklärung zum Beispiel von unklaren Untersuchungsergebnissen rechnen – unabhängig von Praxisöffnungszeiten.

Aber nicht nur das: Auch kleine Patienten mit seltenen oder chronischen Erkrankungen profitieren vom System. Denn so können unkompliziert auch über weite Entfernungen Therapieverläufe kontrolliert und angepasst werden. Ein Vorteil gerade auch in ländlichen Gebieten, der Patienten und ihren Eltern lange Anfahrtszeiten und das Warten in Fachambulanzen erspart.

Gemeinsam mit Otto Laub aus Rosenheim und Martin Lang aus Augsburg hat der Nürnberger Kinderarzt Dr. Wolfgang Landendörfer „Pädexpert“ entwickelt – und so von überall her schnellen Zugriff auf Expertenwissen ermöglicht. Gefördert wird das Projekt mit Geldern der Bayerischen Staatsregierung. Dank des mehrfach ausgezeichneten Systems konnte bereits während der eineinhalbjährigen Pilotphase rund 500 Kindern und Jugendlichen geholfen werden.

Der Zeitraum, bis eine Diagnose gestellt wurde, war dabei um rund 17 Tage kürzer als üblich. Und drei Wochen können lang sein, wenn man sich um ein Kind Sorgen macht. „Von der Idee und der Qualität her hat sich ‚Pädexpert‘ von Anfang an bewährt. Nur die Benutzerfreundlichkeit galt es noch zu optimieren“, so Landendörfer auf die Frage nach den Kinderkrankheiten des Systems. Besonders im Blick dabei: die Datensicherheit.

Diagnose Diabetes bei Kindern

Typische Symptome eines Typ-1-Diabetes sind starker Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit und Gewichtsabnahme. Bei Verdacht auf Typ-1-Diabetes sollten Kinder umgehend vom Arzt untersucht und von dort gegebenenfalls stationär in eine auf Diabetes bei Kindern spezialisierte Klinik überwiesen werden. Im Falle eines Diabetes sind die Blutzuckerwerte dann meist deutlich erhöht (über 200 mg/dl [11,1 mmol/l]). Die Überzuckerung kann zu Beginn der Erkrankung akut zu schweren Stoffwechselentgleisungen führen und den Fettstoffwechsel negativ beeinflussen: Es entstehen dann vermehrt Substanzen (Ketone), die den Säurewert des Blutes senken. Dadurch kann es zu der Übersäuerung des Blutes (diabetische Ketoazidose) kommen. Typische Symptome hierfür sind Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, vertiefte zwanghafte Atmung, Bewusstseinstrübung und -verlust, übelriechender Atem oder Urin.

Diabetes in Kindergarten und Schule

Prinzipiell können Kinder mit Diabetes alles mitmachen, was ihre Klassenkameraden tun – auch beim Sportunterricht. Es ist jedoch notwendig, dass Schule und Eltern in einen offenen Dialog miteinander treten. So sollten Eltern den Lehrern zum Beispiel erklären, welche Anzeichen ihr Kind bei einer Unterzuckerung zeigt – dies kann von Kind zu Kind unterschiedlich sein. Jüngere Kinder brauchen manchmal auch eine Erinnerung bzw. Unterstützung, zum Beispiel beim Plasmaglukose- Messen und Spritzen und bei der Nahrungsaufnahme. Am Sportunterricht können und sollen Kinder mit Diabetes teilnehmen, wobei die Lehrkraft das Kind im Auge behalten sollte, um bei Anzeichen für eine Unterzuckerung einzugreifen. Daneben muss das Kind jederzeit eine Übung beenden bzw. während des Unterrichts essen und messen dürfen, wenn es sich nicht wohl fühlt.

Arbeiten Eltern und Schule gut zusammen, ist ein normaler Schulalltag problemlos möglich, dazu zählen auch besondere Aktivitäten wie Schulausflüge. Im Vorfeld sollten die Eltern des Kindes allerdings über bestimmte Dinge wie die Art der Verpflegung oder den Grad der körperlichen Belastung während des Ausflugs informiert werden. Solche Verhaltensweisen seitens der Pädagogen erfordern eine zweistündige Schulung durch Diabetesspezialisten. Doch ob und wie diese Schulung stattfindet, hängt von etlichen Zufallsfaktoren ab. So zeigt eine aktuelle Erhebung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), dass die Erstschu- lung in über 70 Prozent der Fälle durch Spenden, Ehrenamt oder unentgeltlich durch Diabeteseinrichtungen erbracht wird.

Schulungen für Erzieher und Lehrer

Angesichts steigender Diabetes-Typ-1-Erkrankungszahlen bei Kindern fordern Experten eine klare bundeseinheitliche Regelung zur Finanzierung dieser Leistung. Dies sei Voraussetzung, um den betroffenen Kindern mit Diabetes gesellschaftliche Teilhabe und ihren Eltern eine einschränkungsfreie Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. „Steht die Aufnahme der Kinder in Kita und Schule an, zeigen Betreuer und Lehrer verständlicherweise häufig Unsicherheiten oder auch Ängste vor möglichen Gesundheitsschäden“, erklärt Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Präsident der DDG. „Diese Bedenken lassen sich aber oft mit einer zweistündigen Schulung ausräumen, die den Betreuern die Grundlagen zur Blutzuckermessung, Insulinanpassung und frühzeitiges Erkennen von Unterzuckerungen vermittelt“, ergänzt Dr. med. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Schulungen für Erzieher und Lehrer kann diabetologisches Fachpersonal erteilen, beispielsweise Diabetesberaterinnen oder Ärzte.      

Wird die Diagnose eines Prä-Typ-1-Diabetes oder einer familiären Hypercholesterinämie gestellt, wird der Kinderarzt durch das Studienzentrum informiert. Er kontaktiert die Eltern und bespricht das weitere Vorgehen in Kooperation mit dem Studienzentrum.