Bessere Gesundheit

Wilde Nährstoffe

Woher denken Sie, kommt das Obst und Gemüse, das Sie täglich essen? Im Supermarkt wird es nur verkauft und in landwirtschaftlichen Großbetrieben, auf kleinen Bauernhöfen oder im eigenen Garten wird es gepflanzt, gepflegt und geerntet. Doch woher kommen die Nährstoffe darin wirklich? Wo liegen ihre Ursprünge?

erfolgt man die Abstammung von Äpfeln, Beeren, Tomaten und Co., dann wird klar, dass sie von wilden Pflanzen abstammen, die weit über den Erdball verstreut beheimatet sind. Hier drei Beispiele: Die meisten der heute gepflanzten Kulturheidelbeeren stammen von der Amerikanischen Heidelbeere ab. Diese kam ursprünglich in den Pine Barrens von New Jersey vor. Auch die gewaltige Ochsentomate hat wilde Vorfahren und zwar eine beerengroße Frucht, die an den Hängen der Anden wuchs. Die knallroten Karotten, die es bei uns zu kaufen gibt, sind nachkommen violetter Wurzeln aus Afghanistan.

Der Mensch greift ein

Seit etwa vierhundert Generationen greifen wir in das Erbgut von Pflanzen ein, mit dem Ziel, diese wohlschmeckender zu machen und den Ertrag zu steigern. Diese Veränderungen können mitunter gewaltig sein. Vergleichen Sie doch mal den modernen Mais oder Weizen mit ihren grasigen Vorfahren. Auch die Banane ist regelrecht modifiziert worden. Ihr wilder Vorgänger wächst in Malaysia und in Teilen Südostasiens. Bananen gibt es in vielen Formen, Farben und Größen. Nur wenige wissen, dass die meisten davon voller harter, großer Kerne sind und die Schale so fest anliegt, dass sie mit einem Messer geschält werden muss. Auch das Fruchtfleisch ist nicht vergleichbar mit der uns so bekannten gelben Obstsorte. Über die Jahrhunderte hinweg wurde die Banane also verändert. Sie schmeckt süßlich-cremig und die Kerne sind zu kleinen schwarzen Punkten geschrumpft. Zwar können aus diesen Kernchen keine neuen Pflanzen wachsen, aber wozu auch, wenn aus Ablegern immer neue Klone geschaffen werden können.

Vieles geht verloren

Warum nun dieser Rückblick auf die wilden Vorfahren? Ganz einfach: Während die Menschheit mit gezielter Zucht von Obst und Gemüse alles optimieren wollte, gingen auch einige Nährstoffe verloren, die jedoch für eine gesunde Ernährung unerlässlich sind. Die heute angebauten Sorten enthalten deutlich weniger Vitamine, Mineralien und essentielle Fettsäuren. Nehmen wir die Wildpflanze Portulak: Sie enthält sechs Mal so viel Vitamin E und vierzehn Mal so viele Omega-3-Fettsäuren wie Spinat. Außerdem sieben Mal so viel Carotin wie Karotten. Eine echte Nährstoffbombe also. Generell ist es so, dass die meisten ursprünglichen Pflanzen mehr Protein und Ballaststoffe, dafür aber deutlich weniger Zucker enthalten, als unsere modernen Kulturpflanzen. Hier dient wieder der Mais als gutes Beispiel: Sein Vorfahr ist ein zentralmexikanisches Süßgras namens Teosinte. Die Körner bestanden zu etwa 30 Prozent aus Protein und nur zu zwei Prozent aus Zucker. Heute enthält Gemüsemais nur noch vier Prozent Protein, aber zehn Prozent Zucker. Die modernen Sorten erreichen sogar bis zu vierzig Prozent. Der Effekt auf den Blutzuckerspiegel ist dabei enorm.

Phytonährstoffe gesucht

Forscher aus aller Welt haben einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen wilden Pflanzen und ihren modernen Nachkommen entdeckt: Die natürlich vorkommenden Pflanzen enthalten mehr Polyphenole oder Phytonährstoffe, also sekundäre Pflanzenstoffe. Warum ist das so? Pflanzen müssen sich in der Natur durch bestimmte chemische Stoffe vor Insekten, Krankheiten, UV-Strahlung oder extremen Wetterbedingungen schützen. Von den aktuell bekannten 8.000 Phytonährstoffen produziert jede Pflanze Hunderte, von denen viele stark antioxidativ wirken. Wenn wir nun solche Pflanzen mit verwertbaren Antioxidantien essen, dann schützen uns diese vor den sogenannten schädlichen „freien Radikalen“. Diese beschleunigen nicht nur das Zellwachstum, sondern sind auch mitverantwortlich für zahlreiche Krankheiten wie Krebs, Arteriosklerose oder eben Diabetes. Es gibt Studien die belegen, dass bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe die sportliche Leistungsfähigkeit steigern, Blutdruck und LDL-Cholesterin senken, das Gehirn vor Alterungsprozessen schützen oder sogar stimmungsaufhellend wirken. Dieses Wissen nutzen auch Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln. Doch diese bräuchten wir gar nicht, wenn wir ausreichend wilde Pflanzen verzehren würden. So enthalten einige am Fuß der Anden wachsende Kartoffelsorten 28 Mal so viele Phytonährstoffe wie unsere modernen Kartoffeln. Zum Staunen bringt uns auch der wilde Sikkim-Apfel aus Nepal: Er enthält sagenhafte 100 Mal so viele Phytonährstoffe wie die in Deutschland bekannten gängigsten Apfelsorten. Zehn Gramm der wilden Sorte könnten also ein ganzes Kilo Galas ersetzen.

Wir sind die Nahrungsmacher

Im Gegensatz zu Tieren haben wir uns auf den Pfad begeben, in die Natur einzugreifen und unsere Nahrung zu verändern . Zebras, Affen und andere Tierarten essen heute noch dieselbe Nahrung wie zu Urzeiten, vorausgesetzt ihr Lebensraum gibt das her. Es wird zwar berichtet, dass manche Affen in Gefangenschaft lieber M&Ms als Bananen essen, aber sie stellen diese Süßigkeiten nicht her. Dass wir Pflanzen nach unserem Gusto züchten ist nicht neu. Schon die allerersten Bauern wählten Pflanzen, die einen angenehmen Geschmack hatten und meist viel Zucker, Stärke oder Öl enthielten. Wilde Feigen und Datteln gehörten zu den ersten Kulturpflanzen. Auch Oliven, Sesam oder Avocados wurden früh kultiviert. Zwar war Kulturgemüse weniger bitter, jedoch auch entsprechend ärmer an den eben genannten Phytonährstoffen.

Minus auf dem Geschmackskonto

Eine Folge der Industrialisierung ist das Verschwinden von Aroma aus unserer Nahrung. Seit dem späten 19. Jahrhundert konnten immer größere Flächen bewirtschaftet werden. Großbetriebe produzierten mehr, als vor Ort gebraucht wurde. Infolgedessen wurden Obst und Gemüse über immer länger werdende Strecken in andere Städte und Länder geliefert. Während die Lebensmittel einen Großteil ihrer Zeit auf Transportern oder in Kühlhäusern verbrachten, blieb der Geschmack auf der Strecke. Heute wird Obst und Gemüse fast schon ruppig behandelt: Von Maschinen geerntet, auf Laster geschmissen und in überfüllten Regalen verstaut. Die Lieferungen müssen hart im Nehmen sein und auch nach Tagen im Supermarkt noch gut aussehen. Oft reifen bestimmte Sorten erst auf dem Transportweg. All das wirkt sich auf die Inhaltsstoffe aus.

Einfach wild essen

Sie selbst haben die Wahl, was auf Ihren Teller kommt. Setzen Sie vermehrt auf Sorten, in denen noch relativ viel vom Nährwert ihrer Vorfahren steckt. Eine Tomatensorte, die im Supermarkt neben einer anderen liegt, kann das Vielfache an Phytonährstoffen enthalten. Übrigens müssen Sie manche Juwelen der Ernährung gar nicht lange suchen, denn es gibt sie tatsächlich in gut sortierten Läden zu kaufen. So enthält ein Granny-Smith- Apfel drei Mal so viele Phytonährstoffe wie ein Golden Delicious und manche alten Apfelsorten zwei bis dreimal so viele Antioxidantien wie ein Granny Smith. Scharfe Zwiebeln liefern acht Mal so viele sekundäre Pflanzenstoffe wie Süße. Auch bei anderen Obst- und Gemüsesorten wie Spargel, Salat, Kohl, Heidelbeeren oder Orangen variiert die Spannbreite. Für Menschen mit Diabetes ist es spannend zu wissen, dass beispielsweise eine Ofenkartoffel der Sorte Russet den Blutzuckerspiegel ebenso in die Höhe treiben kann, wie zwei Scheiben Weißbrot. Essen Sie hingegen eine traditionelle Kartoffelsorte, wirkt sich diese sogar eher stabilisierend aus. Und noch ein Kartoffel-Geheimnis: Manche Kartoffelsorten können den Blutdruck senken. Allein die Wahl der richtigen Sorte beeinflusst die Gesundheit.