Bessere Gesundheit

Das Eiweißversprechen

Eiweiß gilt seit einigen Jahren als Abnehmwunder. Zahlreiche Diäten versprechen: Eiweiß macht schlank und fit. Doch wie gesund ist es wirklich mit einer solchen Methode abzunehmen? Und worauf sollten Diabetiker achten?

Low Carb oder High Protein: Eiweißdiäten stehen bei Fitnessfanatikern und Gesundheitsbewussten derzeit im Kampf gegen überflüssige Pfunde hoch im Kurs. Die Marketingmaschine vieler Firmen treibt den Hype noch mehr an: Protein- Quark, Protein-Brot, Protein-Müsli oder Lebensmittel mit zugesetztem Protein gelten als gesunde Alternative – sagt die Werbung. Denn das „P“ verspricht Power und Vitalität. An diesem Beispiel aus dem Supermarkt zeigt sich bereits: Eiweiß verkauft sich gut, da es ja positiv auf den Körper einwirkt. Für die Wirtschaft ein lukratives Geschäft . Einige Forscher sehen das nicht so positiv und kritisieren diesen Trend. Verbraucher werden aber durch die Pro- und Contra-Debatte immer mehr verunsichert. Was stimmt wirklich? Ist Eiweiß gut für uns oder eher schlecht für die Gesundheit?

Bausteine des Lebens

Proteine sind der Baustein des Lebens. Der Name spiegelt ihren wichtigen Stellenwert für einen funktionierenden Organismus wider. Er stammt vom griechischen Wort proteios ab, was „ich nehme den ersten Platz ein“ bedeutet. Neben Kohlenhydraten und Fetten braucht unser Organismus Eiweiße für zahlreiche, lebensnotwendige Funktionen. Denn sie befinden sich in jedem Gewebe und jeder Zelle. So helfen sie beispielsweise beim Kollagenaufbau. Unser Körper besteht nämlich zu einem Drittel aus diesem Gewebe. Ähnlich wichtig sind Eiweiße für die Muskeln.

Diese Makromoleküle bestehen aus langen Aminosäureketten. Kurze Ketten nennt man Peptide, ab 100 Aminosäuren spricht die Wissenschaft von Proteinen. Zusammen bilden die Ketten eine Art bewegliches Gitter über das sie beispielsweise Sauerstoff transportieren. In unserem Erbgut sind 20 Aminosäuren angelegt, um Proteine zu bilden. Man bezeichnet sie deshalb als proteinogen. Diese unterteilen sich noch einmal in drei wichtige Gruppen: essentielle, semi-essentielle und nicht-essentielle Aminosäuren. Davon kann der Körper nur die zehn nichtessentiellen Aminosäuren aus einfachen organischen Substanzen selbst bilden. Acht essentielle Aminosäuren kann er nicht selbst herstellen. Das sind Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phentylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin. Sie müssen wir über die Nahrung aufnehmen. Zwei semi-essentielle Aminosäuren muss man in bestimmten Situationen zusätzlich zuführen.

Zu viel ist ungesund

Was kritisieren Forscher eigentlich an Eiweißen? Die Menge. Denn zu viel von den Nährstoffen macht uns nicht schlank, sondern vielmehr dick. Es liegt an der Kalorienbilanz – und die ist hierzulande oft viel zu hoch. Die deutsche Gesellschaft empfiehlt 0,8 Gramm Protein je Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Die empfohlene Menge liegt für Männer zwischen etwa 57 bis 58 Prozent und für Frauen bei 48 Gramm. Ein beliebtes Lebensmittel der Deutschen ist Fleisch: Bei 53 Prozent der Deutschen kommt es gerne auf den Tisch, zeigt der „Ernährungsreport 2017“. Oft isst man aber mehr. Im Durchschnitt verzehren die Bundesbürger 60 Kilogramm im Jahr, schreibt der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF).Fleisch ist zwar sehr proteinreich, enthält aber meistens viele ungesättigte Fettsäuren, was den Gehalt am schädlichen LDLCholesterin erhöht. Die Folge: Übergewicht. Das wiederum führt zu Zivilisationskrankheiten wie Diabetes.

Probleme für die Niere

Im Zusammenhang mit Diabetes sehen ältere Studien Eiweiße als Sündenbock. Das gilt aber für hochproteinreiche Diäten. Sie riefen bei Übergewichtigen eine Insulinresistenz hervor. Dadurch steigt das Risiko für Diabetes an. Außerdem können die Aminosäureverbindungen die Niere schädigen. Ungenutztes Eiweiß wird in Harnsäure und Harnstoff aufgespalten und über die Niere ausgeschieden. Für gesunde Menschen bestehen keine gesundheitlichen Risiken. Für Nierenkranke schon eher. Der Überschuss wird nicht mehr ausgeschieden und bleibt im Körper. Dadurch kann beispielsweise Gicht entstehen. Diese negativen Effekte bestätigten sich in früheren Studien nur bei schweren Nierenfunktionsstörungen. Oft lag es aber an einer fleischlastigen Ernährung. Andere Studien behaupten, dass eine erhöhte Proteinzufuhr Krebs verursacht oder das Sterberisiko steigert. Das fand der Altersforscher Valter Longo von der University of Southern California in Los Angeles heraus. Dafür wertete er Ernährungsdaten von 6400 Menschen aus. Wer zwischen 50 und 65 Jahren mehr als 20 Prozent seiner Kalorienaufnahme mit Proteinen deckt, stirbt eher. Ab 65 nimmt das Risiko ab. Woran es liegt konnte das amerikanische Forscherteam nicht sagen. Eine weitere Studie kam zu ganz anderen Ergebnissen und empfiehlt im Alter sogar mehr Proteine zu essen. Das verhindert in Verbindung mit körperlicher Aktivität Muskelschwund. Dieses Beispiel zeigt wie unterschiedlich die wissenschaftlichen Analysen zu diesem Thema ausfallen. Einerseits fördern ältere Menschen durch größere Eiweißmengen Wachstumsprozesse im Körper. Diese können aber der Gesundheit schaden. Und andererseits brauchen wir im Alter Proteine, um fit zu bleiben.

Positive Effekte für Diabetiker

Longos Analyse zeigte noch etwas anderes: Als er und sein Forscherteam die Untersuchung auf pflanzliche Proteinebeschränkten, verschwand die Gefahr früher zu sterben bei Menschen im mittleren Alter. Die amerikanischen Forscher fanden nicht heraus wieso Proteine, die von Pflanzen stammen einen positiven Effekt haben. Viele Studien aus der Diabetesforschung haben ähnliche positive Wirkungen durch Hülsenfrüchte entdeckt. Studienteilnehmer nahmen ab, senkten ihren Insulinspiegel und ihren Langzeit-Zucker-Wert (HbA1c). Zusätzlich verbesserten sich durch Sojaprodukte die Nierenwerte. Die Wissenschaftler sehen die Ursachen aber nicht in den Proteinen, sondern im niedrigen glykämischen Index (GI) und im höheren Ballaststoffanteil in den Hülsenfrüchten.

Pflanzliche oder tierische Proteine

Liegt es also daran, woher die Proteine stammen? Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung beschäftigten sich intensiver mit der Frage, welche Rolle die Herkunft des Eiweißes für die negativen und positiven Ergebnisse spielen. An der LeguAN-Studie (Leguminosen – Anbau und Nutzung) nahmen nur Typ-2- Diabetespatienten mit einem HbA1C-Wert zwischen sechs und elf Prozent teil. Die Forscher entwickelten zwei hochproteinhaltige Diäten für sie: Über einen Zeitraum von sechs Wochen aß eine Gruppe nur pflanzliche und die Andere nur tierische Eiweiße. Die Energiebilanz passte das Forscherteam individuell an die Teilnehmer an. Fette, Kohlenhydrate mit niedrigem glykämischen Index und Ballaststoffe gehörten zum diabetesgerechten Ernährungsprogramm der Patienten dazu. Während der Zeit wurden die Teilnehmer regelmäßig untersucht.

Die Diät war am Ende erfolgreich und bestätigt viele positive Ergebnisse aus älteren Forschungen. In beiden Gruppen sank der Blutzucker- und Insulinspiegel. Der HbA1c-Wert reduzierte sich ebenfalls. Das fanden die Experten erstaunlich: Denn diese günstigen Parameter erreicht man normalerweise nur mit antidiabetischen Medikamenten. Gleichzeitig bauten die Teilnehmer mehr Muskelmasse auf und reduzierten ihr Gewicht ganz langsam. Auch der Blut- und Leberfettgehalt sank. Das Risiko an Herzkreislauferkrankungen oder einer Fettleber zu erkranken, verschwand. Diese proteinreiche Ernährung wirkt sich günstig auf den gesamten Stoffwechsel aus. Auf die Nierenfunktion hatte die sechswöchige Diät keinen Einfluss.

Es wird weiter geforscht

Diese aktuelle Studie zeigt: Hochproteinhaltige Diäten können den Stoffwechsel von Diabetikern verbessern, Pfunde schmelzen lassen und den Blutdruck senken. Diese Diät konnte die Frage, um den Gesundheitseffekt der lebensnotwendigen Makromoleküle nicht eindeutig klären. Denn die Diätphase war auf einen kleinen Zeitraum beschränkt. Weitere Studien dazu sind notwendig. Das Forscherteam untersucht derzeit pflanzliche und tierische Proteine. Sie wollen die Einflüsse auf molekularer Ebene analysieren. Dafür gucken sie sich die unterschiedliche Aminosäurezusammensetzung beider Diäten an. Sie wollen erfahren, ob es doch einen Unterschied zwischen den Proteinarten gibt. Obwohl pflanzliche und tierische Aminosäuren beide punkten, empfehlt das Studienteam mehr Nüsse oder Hülsenfrüchte zu essen.

Ausgewogen mit Eiweißen

Eiweiße sind besser als ihr Ruf. Sie in gut oder schlecht zu unterteilen ist falsch. Wir müssen nur aufpassen nicht zu viel davon zu essen. Obwohl eine hochproteinhaltige Diät viele Vorteile mit sich bringen kann, raten Ärzte weiterhin davon ab. Denn beispielsweise Fitnesslebensmittel mit mehr Eiweiß enthalten viel zu viel Fett. Ihr Versprechen ist oft nur ein Werbespruch. Außerdem eignen sie sich nicht für Patienten mit Nierenerkrankungen. Natürliche Eiweißquellen sind deshalb die bessere Wahl. Gemüse, Nüsse oder Linsen sollten wir öfter essen. Sie machen länger satt und enthalten viele wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe und verdauungsfördernde Ballaststoffe. Am besten ist eine ausgewogene, kalorienarme Ernährung. Für alle die über eine Ernährungsumstellung nachdenken: Lassen Sie sich von ihrem Arzt oder einem Diabetesberater aufklären. Die Slogans auf den Packungen der Eiweiß-Produkte versprechen ihnen meistens schnelle Erfolge, die nicht jeder gleich erzielen kann. Ein individuelles Ernährungsprogramm hält wirklich was es verspricht. Sie brauchen nur etwas Geduld.