Besser Messen

Schule? Kein Problem!

Der Schulalltag mit Diabetes ist nicht immer einfach, doch Eltern können Ihr Kind auf dem Weg zur Selbstständigkeit unterstützen. Dabei sind unter anderem offene Gespräche und eine entsprechende Motivation des Kindes wichtig.

Wenn Julie in der Schule mit Klassenkameraden spielt, sieht man ihr nicht an, dass sich ihr Alltag von dem anderer Kinder unterscheidet. Mit sechs Jahren wurde bei ihr die Diagnose Typ-1- Diabetes gestellt. „Das war kurz nach der Einschulung“, erinnert sich Julies Mutter. „Unser Leben hat sich vom einen auf den anderen Tag verändert und wir mussten als Familie erst lernen, mit der Krankheit umzugehen.“ Heute ist Julie neun Jahre alt und sie hat schon gelernt, recht eigenständig mit dem Diabetes zurechtzukom- men. Darauf ist ihre Mutter stolz: „Ich weiß, dass es nicht einfach ist, ein gutes Gleichgewicht zwischen Selbstständigkeit und Kontrolle zu schaffen. Einerseits wünsche ich mir, dass der Diabetes nicht ständig im Mittelpunkt steht, andererseits habe ich auch Angst um mein Kind.“ Viele Eltern, die ein Kind mit einer chronischen Krankheit haben, kennen diese Situation sehr gut. Die Angst, dass etwas passieren könnte, ist ein ständiger Begleiter, auch während der Schulzeit. Doch wie findet man eine gute, ausgewogene Balance zwischen Fürsorge und Freiheit?

Loslassen lernen

Die Diabetesbehandlung von Schulkindern wird gegenüber anderen Altersphasen für Eltern leichter. Viele Kinder sind stolz, wenn Sie die Therapie immer eigenständiger durchführen können und dafür die entsprechende Anerkennung bekommen. Hier ist es wichtig, nicht zu viel von Kindern zu erwarten, sondern sie allmählich an die Selbstständigkeit heranzuführen. Offene Gespräche helfen dabei. „Wir nehmen uns jeden Sonntag mit der ganzen Familie Zeit und sprechen mit Julie über den Diabetes. Das hat unser Diabetologe vorgeschlagen“, sagt Julies Mutter und ihre Tochter fügt hinzu: „Mir macht das Spaß und ich bekomme immer viel Lob, wenn ich mein Blutzuckertagebuch führe. Manchmal gibt es auch ein kleines Geschenk, wenn ich mir Mühe gebe.“ Julie hat seit einem Jahr eine Insulinpumpe und misst ihren Blutzucker die meiste Zeit selbst. Das ist nicht ungewöhnlich. Kinder, die den Diabetes sehr früh bekommen, gewöhnen sich schnell an die Aufgaben im Alltag. Für sie sind das Messen und Spritzen oder der Umgang mit der Insulinpumpe völlig normal. Oft bedienen etwas ältere Schulkinder die Pumpe sogar besser als mancher Erwachsener. In der Schulzeit lernen Kinder besonders schnell und effektiv, wenn ihr Interesse geweckt und sie altersgemäß gefördert werden. Wichtig ist, dass Eltern ihre Kinder ernst nehmen und sie gleichzeitig spielerisch motivieren.

Druck ist meist kontraproduktiv

Jeder Mensch lernt am besten in einem entspannten Zustand. Druck und Strafe führen zu Angst und Vermeidungsverhalten. Das kennt auch Alexandra. Die 23-Jährige bekam im Alter von acht Jahren Diabetes und erinnert sich an ihre Jugend: „Mir fiel es schwer, mein Blutzuckertagebuch zu führen. Wenn meine Werte schlecht waren, war ich frustriert und kümmerte mich immer weniger um meinen Diabetes. Heute weiß ich, dass mein erster Diabetologe einiges falsch gemacht hat.“ Alexandras Arzt versuchte damals nicht, das junge Mädchen zu motivieren, sondern machte ihr regelrecht Angst, indem er immer wieder über mögliche Folgeerkrankungen redete und nicht verstand, warum sie ein Vermeidungsverhalten entwickelte. Zusätzlich übten Alexandras Eltern Druck aus. Wenn sie ihre Werte nicht regelmäßig protokollierte, bekam sie Hausarrest. Hingegen gab es wenig Lob für ihr Engagement. Jetzt könnte man den Eltern Vorwürfe machen. Doch nur selten resultiert solch ein Verhalten aus Boshaftigkeit. Vielmehr ist auch hier die Angst ein Auslöser. Ein guter Diabetologe, mit seinem Team aus Diabetesberatern, sollte sowohl die Eltern als auch die Kinder unterstützen und dabei helfen, Ängste abzubauen. Offene Gespräche sind die Grundlage für ein positives Familienklima und einen entsprechenden Umgang miteinander.

Herausforderungen des Schulalters meistern

Die Jahre vor der Pubertät sollten von Eltern genutzt werden, um ihr Kind Schritt für Schritt in die Diabetesbehandlung miteinzubeziehen. So können Sie beispielsweise lernen, gemeinsam Mahlzeiten und Insulindosen zu berechnen oder alle wichtigen Utensilien für Ausflüge zu packen. Unerwartete Blutzuckerschwankungen sind keine Seltenheit und Kinder lernen in solchen Situationen von den Reaktionen ihrer Eltern. Machen Sie sich immer bewusst, dass Sie eine Vorbildfunktion haben. Verzweiflung, Schuldgefühle oder Angst übertragen sich auf das Kind und machen es ihm schwer, den Diabetes auf lange Sicht zu akzeptieren. Wiederum hilft eine nachlässige, ent- schuldigende Haltung auch keinem weiter. „Ich habe gemerkt, dass Kinder besser Verantwortung übernehmen, wenn ich einerseits gelassen gegenüber Blutzuckerschwankungen reagiere und anderseits eine liebevolle Konsequenz durchsetze“, betont Julies Mutter und ergänzt: „Gerade bei hohen Werten leidet Julie oft unter Stimmungsschwankungen. Strafe bringt dabei gar nichts. Vielmehr versuche ich durch eigene innere Ruhe auch meinem Kind Sicherheit zu vermitteln und ihr zu zeigen, dass sie okay ist.“

Alleine geht es nicht

Zwar ist es wichtig, die Eigenständigkeit des Kindes zu fördern, dennoch sollten Eltern sich immer bewusst sein, dass Kinder mit der alleinigen Verantwortung für den Diabetes überfordert sind. So können sie vor allem in unvorhersehbaren Situationen noch nicht sicher entscheiden oder die Risiken einschätzen. Selbst wenn Kinder den technischen Umgang mit Messgerät, Pen oder Insulinpumpe schon gut beherrschen, brauchen sie Unterstützung beim konsequenten Bedenken aller Behandlungsschritte. Deshalb sollte ein Erwachsener die Verantwortung im Alltag verlässlich tragen und immer ansprechbar sein, beispielsweise, wenn es um das Einschätzen von Mahlzeiten oder Insulindosen geht. Viele Jugendliche, die mit dem Diabetes überfordert sind, wurden zu früh allein gelassen oder haben zu oft negative Konsequenzen erfahren. Hinzu kommt, dass der Diabetes zu einer größeren Belastung werden kann, wenn andere einschneidende Erlebnisse im Leben des Kindes und der Familie hinzu kommen. Beispielsweise führt eine Scheidung der Eltern oft dazu, dass der Diabetes vernachlässigt wird und das Kind die konsequente, fürsorgliche Versorgung durch beide Elternteile verliert. Für die gesundheitliche Zukunft des Kindes ist eine Fortsetzung der elterlichen Auseinandersetzungen über den Diabetes regelrechtes Gift. Auch wenn es schwer fällt, sollten beide Eltern bemüht sein, weiterhin gut zusammenzuarbeiten und ihr Kind zu unterstützen. Alleinerziehende Eltern können sich bei einem Diabetologen oder in Diabeteszentren nach Unterstützung erkundigen. Es gibt mittlerweile einige Initiativen und ältere, diabeteserfahrene Menschen, die Familien Hilfe anbieten. Auch Stiftungen sind ein guter Anlaufpunkt bei besonderen Belastungen und in Notsituationen.

Lernen wie alle anderen

Kinder mit Diabetes unterscheiden sich in ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit nicht von ihren Mitschülern. Auch ihre Lernbereitschaft und ihr Begabungsspektrum weisen im Normalfall keine Besonderheiten auf. Jedes Kind hat seine individuellen Begabungen und seine persönlichen Neigungen. Die Idee, ein chronisch krankes Kind besonders zu schonen, ist kontraproduktiv. Dennoch ist natürlich in gewissen Momenten Rücksicht nötig, beispielsweise wenn das Kind unterzuckert oder zu hohe Werte die Stimmung beeinflussen. Im Klassenverband sollte der Diabetes kein Grund für eine Sonderstellung sein. Das möchten auch die wenigsten Kinder. „Es kam hin und wieder vor, dass ich im Unterricht etwas essen musste und manchmal nicht am Sport teilnehmen konnte, weil meine Werte stark geschwankt haben“, erinnert sich Alexandra an ihre Schulzeit. „Leider bin ich anfangs dadurch in eine Außenseiterrolle gedrängt worden. Die anderen Schulkinder konnten nicht verstehen, warum ich immer etwas essen durfte oder manchmal sehr schlapp war. Auch auf Kindergeburtstagen hatte ich eine Sonderrolle, da ich nicht so viel Kuchen essen durfte, oder mit dem Essen warten musste, bis mein Insulin gewirkt hat.“ Alexandra hatte lange Probleme in der Schule. „Ich war oft sehr traurig und habe mich geschämt, dass mein Diabetes immer wieder im Mittelpunkt stand. Ich habe ihn dann immer mehr verheimlicht, allerdings wurde dann alles noch schlimmer.“ Erst als Alexandra sich ihren Eltern anvertraute und diese das offene Gespräch mit den Lehrern suchten, besserte sich die Situation.

Sachlich informieren

Lehrer müssen selbstverständlich darüber informiert werden, dass ein Kind in ihrer Klasse Diabetes hat. Als Eltern sollten Sie dabei bedenken, dass für viele Lehrkräfte diese Erkrankung neu ist. Die meisten Menschen haben zwar schon hier und da mal etwas über das Thema Diabetes gehört, meist jedoch über Typ-2-Diabetes und auch nur oberflächlich. Was Typ-1- Diabetes im Alltag bedeutet und wie man am besten damit umgeht, ist vielen nicht klar. Woher auch? Bevor Eltern mit Lehrern sprechen, müssen sie natürlich selbst wissen, was für den Schulalltag mit Diabetes wichtig ist. „Ich habe kurz nach der Diagnose der Krankheit meiner Tochter eine spezielle Schulung für Eltern mitgemacht“, erzählt Julies Mutter. „Das hat mir sehr im Gespräch mit den Lehrern gehol- fen. Ohne diese Schulung hätte ich nicht gewusst, wie ich alles am besten vermittle, um Julie gut zu unterstützen.“ Generell ist es wichtig, Lehrern zu vermitteln, dass Kinder mit Diabetes ganz normal gefördert werden können. Manche Pädagogen fürchten, dass sie die chronische Krankheit überfordern könnte. Auch hier spielt die Angst als Ursache eine entscheidende Rolle. Wenn Sie als Eltern nicht sicher sind, wie Sie Lehrkräften am besten den Umgang mit dem Diabetes erklären, können Sie zum Beispiel Ihr Diabetesteam bitten, Sie dabei zu unterstützen. Ihnen fällt es leichter, unsichere und zurückhaltende Lehrkräfte zu informieren und mögliche Bedenken abzubauen. Suchen Sie auch hier wie in Ihrer eigenen Familie das offene Gespräch und haben Sie keine Angst, um Hilfe zu bitten.