Stärker werden

Akzeptanz braucht Zeit

In der Diabetestherapie fällt immer wieder das Stichwort Akzeptanz. Doch die eigene Krankheit anzunehmen und das Leben mit ihr zu meistern fällt vielen Betroffenen schwer, denn Akzeptanz braucht Zeit. So gelingt der Weg zu einem guten Leben mit dem Diabetes.

Es gibt kaum eine Frage zum Thema Diabetes, die Marie nicht beantworten kann. Die 23-jährige Typ-1-Diabetikerin hat schon zahlreiche Schulungen mitgemacht und weiß, worauf es ankommt. Dennoch fiel es ihr bis vor einem Jahr oft schwer, die chronische Erkrankung wirklich anzunehmen. „Ich kämpfte mit mir selbst und wünschte mir nichts mehr als ein unbeschwerteres Leben“, erzählt die Studentin und fügt hinzu: „Den Diabetes empfand ich als Last, manchmal mehr, manchmal weniger. Ich fragte mich, wie ich etwas akzeptieren sollte, gegen das ich mich doch so sehr wehrte.“ Vor den regelmäßigen Terminen beim Diabetologen graute es Marie schon Tage zuvor. Sie konnte sich nicht dazu motivieren, ihre Blutzuckerwerte zu protokollieren und saß dann mit leeren Händen im Arztzimmer. „Ich konnte nicht genau sagen, warum ich nicht in der Lage war, mich richtig um den Diabetes zu kümmern“, erzählt die junge Frau.

Ein wichtiger Wendepunkt

Nachdem Marie mehrfach den Diabetologen gewechselt hatte, lernte sie einen jungen Diabetesberater kennen, der sie freundlich aber direkt mit der Wahrheit konfrontierte und gleichzeitig Verständnis zeigte. „Solange du gegen dich selbst kämpfst, wirst du keine Ruhe finden und deine Krankheit auch nicht akzeptieren können“, sagte er und betonte: „Hör auf, deinen Körper als Feind zu betrachten. Keiner erwartet, dass du froh über deine Diagnose bist, aber lerne, mit ihr zu leben. Gib dir Zeit, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln.

Es wird immer Tage geben, an denen dich der Diabetes nervt und du darfst auch mal genervt sein, aber arbeite weiter daran, dein Leben in die Hand zu nehmen.“ Für Marie waren diese Worte der Wendepunkt. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich seit der Diagnose selbst immer unter Druck gesetzt hatte und sehr streng zu sich war. „Ja, mein Körper war in gewisser Weise mein Feind. Ich war oft frustriert, da ich ständig das Gefühl hatte, zu scheitern und keine Kontrolle über den Diabetes zu haben“, erinnert sich Marie. Gemeinsam mit ihrem Diabetesberater und ihrem Diabetologen entwickelte sie eine Strategie, die sie Schritt für Schritt dazu brachte, die Krankheit zu akzeptieren.

Die Dinge beim Namen nennen

Der erste Schritt zum Erfolg war eine ehrliche Bestandsaufnahme. „Ich weiß noch genau, wie ich in die Praxis ging und ein großes weißes Blatt vor die Nase gelegt bekam“, sagt Marie. Darauf sollte sie alles aufschreiben, was sie an ihrem Diabetesalltag nervt. Anfangs war es für die junge Diabetikerin nicht leicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Sie spürte, wie viel Frust, aber auch Angst und Traurigkeit in ihr steckte. „Das alles schwarz auf weiß auf Papier zu sehen, war anfangs erschreckend, dann aber auch erleichternd“, erzählt Marie.

„Endlich konnte ich alles rauslassen, ohne mich dafür zu schämen. Ich durfte zugeben, dass der Diabetes für mich eine große Belastung war. Auf einmal entwickelte sich aus dem Frust ein Mitgefühl.“ Akzeptanz ist nur ein Wort, doch sie zu erreichen ist ein Weg und dieser muss immer wieder neu gegangen werden. Visualisierung ist eine Möglichkeit, Blockaden zu erkennen, die eigene Situation besser zu verstehen sowie neue Lösungen zu finden. Eine chronische Krankheit wie Diabetes macht keinen Urlaub, sie ist ständig präsent und beeinflusst das alltägliche Leben. Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen ist wichtig, um sich festgefahrenen Gedankenmustern bewusst zu werden oder neue Motivation zu entwickeln.

Stärken erkennen

Nachdem nun alle Sorgen, Ängste, aber auch Frust und Ärger auf Papier gebannt waren, sollte Marie aufschreiben, was sie bisher alles gut gemeistert und welche Stärken sie im Alltag mit dem Diabetes entwickelt hat. Wieder saß sie mit einem Stift vor einem leeren Blatt. Noch nie zuvor hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, worauf sie eigentlich stolz war. „Mir fiel es schwer, positive Aspekte zu finden, da ich mich daran gewöhnt hatte, den Fokus auf das Negative zu legen“, erinnert sich die Studentin. Nach und nach schrieb sie unter anderem Folgendes auf: „Ich gebe mir Mühe, den Diabetes zu verstehen und ich bin bemüht, die Therapie so gut es geht umzusetzen.

Trotz der vielen Rückschläge gebe ich nicht auf und suche mir Hilfe.“ Mit Hilfe des Diabetesberaters formulierte Marie noch weitere Stärken. Die Aufgaben begannen ihr mehr und mehr Spass zu machen. Die Last auf ihren Schultern wurde leichter. Akzeptanz bedeutet eben nicht, sich den Gegebenheiten ausgeliefert zu fühlen oder sie einfach so hinzunehmen. Akzeptanz ist ein aktiver Prozess, den Sie selbst mitbestimmen und durch den Sie lernen, eine neue Sichtweise auf die Dinge zu entwickeln. Dazu müssen alte Gedankenmuster durchbrochen und durch neue, positive ersetzt werden. Auch das braucht Zeit und ein gewisses Maß an Geduld.

Wünsche formulieren

In der nächsten Aufgabe ging es darum, Wünsche für das Leben mit dem Diabetes zu formulieren. „Ich fühlte mich oft eingeschränkt durch die Krankheit, vor allem belasteten mich die ständigen Blutzuckerschwankungen“, erinnert sich Marie. Sie wünschte sich mehr Freiheit und Unbeschwertheit, sowie ein besseres Blutzuckermanagement. Gemeinsam mit ihrem Diabetesberater überlegte sie, wie sie ihre Ziele erreichen und wer sie dabei unterstützen könnte. Ein wichtiger Schritt war, Hilfe anzunehmen und nicht mehr alle Probleme alleine lösen zu wollen.

Hilflosigkeit ist ein Gefühl, das viele Menschen mit Diabetes kennen. Sie fühlen sich der Krankheit ausgeliefert und haben Angst vor einem Kontrollverlust. Ein gutes Vertrauensverhältnis zum Diabetesteam sowie ein offener Umgang mit der Familie oder Freunden unterstützen den Prozess der Akzeptanz. Diabetes ist kein Hexenwerk, aber die Erkrankung wirkt sich eben auf viele Bereiche des alltäglichen Lebens aus. Damit die richtigen Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden können, ist ein entsprechendes Grundwissen nötig. Spezielle Schulungen und der Austausch mit anderen Betroffenen helfen dabei. Plötzlich wird klar, dass man mit seinen Sorgen und Ängsten nicht alleine und, dass noch kein (Diabetes-)Meister vom Himmel gefallen ist.

Rückschläge sind ganz normal

Zahlreiche Faktoren von Ernährung über Bewegung, bis hin zu hormonellen Veränderungen und der allgemeinen Lebensführung beeinflussen die Blutzuckerwerte. Somit ist das Diabetesmanagement eine lebenslange Aufgabe. Rückschläge gehören dabei automatisch dazu. Die Frage ist nur, wie man mit diesen am besten umgeht, ohne wieder völlig aus der Bahn geworfen zu werden.

Deshalb gehört es auch zum Prozess der Akzeptanz, sich mit vermeintlichen Rückschlägen auseinanderzusetzen. Marie hat gemeinsam mit ihrem Diabetesteam einen Notfallplan entwickelt: „Ich trage immer einen kleinen Zettel in meinem Portemonnaie, der mich an meine Stärken erinnert“, sagt die Typ-1-Diabetikerin und fügt hinzu: „Wenn ich mal wieder das Gefühl habe, die Kontrolle zu verlieren oder wenn ich mich über den Diabetes ärgere, dann werfe ich einen Blick auf meine Notizen, atme tief durch und suche nach der Ursache für das Problem.“ Marie hat gelernt, den Frust nicht mit sich selbst auszumachen, sondern mit vertrauten Personen zu sprechen, oder sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

In einem Forum hat sie eine gute Freundin gefunden. „Gemeinsam können wir mittlerweile über Blutzuckerschwankungen lachen und wir unterstützen uns dabei, nicht aufzugeben“, so die Studentin. Das andere Betroffene ähnliche Situationen erleben, hilft Marie dabei, sich weiter mit dem Diabetes zu beschäftigen und ihn nicht mehr als Feind zu sehen. Wer gegen sich selbst kämpft, verliert eine Menge Kraft und innere Ruhe, ohne dass sich die eigene Situation dadurch bessert.

Eine Therapie kann helfen

Seit einigen Jahren wird dem Thema Diabetes und Psyche immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist bekannt, dass chronische Erkrankungen unter anderem Depressionen begünstigen können. Wenn Sie merken, dass Sie der Diabetes sehr stark belastet und Ihre Therapieführung leidet, suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Diabetologen und besprechen Sie mit ihm die Möglichkeit einer begleitenden Therapie. Speziell geschulte Psychologen können Sie dabei unterstützen, neue Motivation und Akzeptanz zu entwickeln.

Bei schwerwiegenden oder langanhaltenden Problemen kann auch ein stationärer Aufenthalt sinnvoll sein. In jedem Fall ist es wichtig, die eigenen Sorgen und Ängste nicht zu verdrängen, sondern sich dem Leben mit dem Diabetes zu stellen. Erwarten Sie nicht zu viel von sich, sondern arbeiten Sie daran, neue Wege zu gehen und Ihren Alltag bestmöglich zu gestalten. Marie ist heute an einem Punkt, an dem sie kaum noch Sorgen oder Ängste plagen. „Ich kann jedem Diabetiker nur raten, nicht zu streng mit sich selbst zu sein und sich Unterstützung zu suchen“, betont die Typ-1-Diabetikerin. „Akzeptanz ist ein einfaches Wort, aber wir alle müssen unseren eigenen Weg finden, mit der Krankheit zu leben. Auch, wenn es anfangs oft nicht leicht ist, sollten wir nie aufgeben.“