Bessere Gesundheit

Gegen das Vergessen

Eine schlechte Blutzuckereinstellung kann Folgen für das Gehirn haben und unter anderem zu einer Abnahme der Gedächtnisleistung führen. Doch mit einem entsprechend guten Blutzuckermanagement und weiteren einfachen Maßnahmen kann dem bestmöglich entgegengewirkt werden.

Alles begann vor ein paar Jahren mit den ersten Gedächtnislücken: „Ich konnte mir immer schlechter Termine oder Aufgaben merken“, erinnert sich Johanna Faber. Die 61-jährige Typ-2-Diabetikerin dachte zunächst es läge am Stress im Job, doch die Symptome wurden mit der Zeit immer intensiver, so dass sie das alltägliche Leben mehr und mehr beeinträchtigten. „Nicht nur meine Merkfähigkeit, sondern auch meine Konzentrationsfähigkeit ließ spürbar nach. Ich musste mir für alles mögliche Zettel schreiben und einfache Dinge wie eine kurze Autofahrt kosteten mich sehr viel Konzentration und somit auch einfach Kraft“, sagt Johanna Faber. Auch die Menschen in ihrem Umfeld bemerkten die Veränderungen und so wurde die Typ-2-Diabtikerin immer häufiger darauf angesprochen.

Die Ursachensuche beginnt

„Natürlich war mir klar, dass die Gedächtnisleistung im Alter nachlassen kann, aber dennoch kam mir das Ganze komisch vor“, erzählt Johanna Faber, die sich sehr bald an ihren Arzt wandte. Nach einigen Untersuchungen konnten bestimmte Erkrankungen ausgeschlossen werden. Deutlich wurde allerdings, dass die Typ-2- Diabetikerin immer wieder mit starken Blutzuckerschwankungen, sowohl mit Unterzuckerungen, als auch mit Ausreißern nach oben, zu kämpfen hatte. „Die Kurve in meinem Blutzuckertagebuch glich des öfteren einer Achterbahnfahrt. Allerdings war mir nicht klar, dass sich dieses Auf und Ab auch auf mein Gedächtnis auswirken könnten“, betont die 61-jährige. Heute weiß sie, dass eine schlechte Blutzuckereinstellung die kognitiven Fähigkeiten auf vielfältige Weise bein trächtigen kann – nicht nur kurzfristig, sondern auch auf lange Sicht. Verschiedene Untersuchungen belegen: ein schlecht eingestellter Diabetes kann langfristig mit einer Abnahme der Gedächtnisleistung einhergehen. Lange war über die Mechanismen, die zu den Einbußen der Gehirnleistung führen, eher wenig bekannt. Mittlerweile sind Wissenschaftler aus den USA einem möglichen Erklärungsansatz auf der Spur. Dabei steht die übermäßige Produktion von Cortisol im Mittelpunkt: Das Stresshormon kann die Gehirnregion beeinflussen, die für das Lernen und das Kurzzeitgedächtnis zuständig ist.

Richtungsweisende Forschung

Im menschlichen Körper wird Cortisol von den Nebennieren hergestellt. Diese Hormondrüsen befinden sich jeweils auf den oberen Polen beider Nieren. Die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen- Nebennieren-Achse (abgekürzt HPA-Achse) ist für die Steuerung der Cortisol-Produktion zuständig. Über diese Art Informationsweiterleitungssystem werden im Gehirn eingehende Informationen an die Nebennieren weitergegeben. Ein Beispiel: Erhält das Gehirn die Information „Stress“, wird diese zur Nebenniere weitergeleitet und führt dort zu einer vermehrten Cortisol-Ausschüttung. Diabetiker weisen häufig eine Überaktivität der HPA-Achse auf. Ihr Körper produziert also übermäßig viel Cortisol. In einer Studie des National Institutes of Health (NIH) sind Wissenschaftler aus den USA der Frage nachgegangen, wie sich erhöhte Cortisol-Spiegel auf das Gedächtnis auswirken. Untersucht wurde die Hippocampus-Region im Gehirn von diabetischen Ratten und Mäusen, die für das Verarbeiten und Speichern von Gedächtnisinhalten, also für das Lernen und das Kurzzeitgedächtnis, zuständig ist. In der Hippocampus- Region ist die Konzentration von Cortisol-Rezeptoren besonders hoch.

Auswirkung der Stresshormone

Die Wissenschaftler konnten in ihrer Studie zeigen, dass sowohl Ratten mit Typ-1-Diabetes, als auch Mäuse mit Typ-2-Diabetes bei erhöhten Cortisol-Spiegeln Defizite im Hinblick auf das Erinnern und Lernen aufwiesen. Zudem war die Ausbildung neuer neuronaler Verbindungen zwischen bestehenden Nervenzellen und das Wachstum neuer Zellen in der Hippocampus-Region bei diesen Tieren merkbar herabgesetzt. Allerdings erholte sich der Hippocampus regelrecht, wenn die Cortisol-Spiegel in den Normalbereich gesenkt wurden. Sowohl Plastizität, als auch Zellneubildung nahmen wieder zu. Auch bei Menschen mit schlecht eingestelltem Diabetes sind Gedächtnisprobleme keine Seltenheit. Generell sind Diabetiker überdurchschnittlich oft von einer Erhöhung der Cortisol-Produktion betroffen. Hinzu kommt, dass auch mögliche Folgeschäden des Diabetes kognitive Beeinträchtigungen mit sich bringen können. Beispielsweise ist es durchaus vorstellbar, dass Schädigungen der Nerven nicht nur die Extremita¨ten, sondern auch das Gehirn betreffen können.

Anstieg mit Folgen

Die Zusammenhänge sind einerseits komplex, andererseits gibt es klare Faktoren, die zu einer Verminderung der Gedächtnisleistung beitragen. So zeigt eine Studie der Berliner Charité, dass ein leicht erhöhter Blutzucker selbst bei Menschen ohne Diabetes das Gedächtnis beeinträchtigen kann. Die Teilnehmer der Studie konnten sich bei höheren Blutzuckerwerten unter anderem weniger Wörter merken. Nun gehören gewisse Blutzuckerschwankungen zum Alltag von Diabetikern. Nicht immer ist es möglich, den Blutzucker im Normbereich zu halten. Beispielsweise könne Infekte oder Stress zu einem Anstieg führen. Dennoch sollte für Menschen mit Diabetes das passende Blutzuckermanagement einen hohen Stellenwert im Alltag einnehmen. So kann Folgeschäden diverser Art bestmöglich auch auf lange Sicht vorgebeugt werden. „Ich habe das Ganze lange eher auf die leichte Schulter und auch mal hohe Bluzuckerwerte in Kauf genommen“, erinnert sich Johanna Faber und fügt hinzu: „Als meine Gedächtnisleistung jedoch immer weiter nachließ, habe ich sozusagen die Reißleine gezogen und mich entsprechend um meine Blutzuckereinstellung gekümmert.“ Die Typ-2-Diabetikerin bekommt ein System zur kontinuierlichen Glukosemessung, was ihr den Alltag mit der chronischen Erkrankung deutlich erleichtert und zu einer Verbesserung der Stoffwechsellage führt. „Schon bald bemerkte ich eine positive Veränderung – ich konnte mir wieder mehr merken und hatte nicht mehr das Gefühl, so vergesslich zu sein“, sagt die 61- jährige heute.

Es muss nicht immer eine Krankheit sein

Zwar können Blutzuckerschwankungen zu einer Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten führen, jedoch sollten bei zunehmender Vergesslichkeit oder Schwierigkeiten beim Konzentrieren auch andere Ursachen in Betracht gezogen werden. Es ist wichtig, die möglichen Auswirkungen einer schlechten Blutzuckereinstellung zu kennen, um entsprechend einzuwirken und das Blutzuckermanagement zu verbessern. Doch nicht immer steckt eine ernste Erkrankung hinter Gedächtnislücken. Fast jeder wird schon mindestens einmal in einer Situation gewesen sein, in denen beispielsweise das Erinnern eines Namens schwierig war oder ein Termin vergessen wurde. Manchmal ist es einfach Alltagsstress, Zeitdruck oder Überforderung. Aber auch Faktoren wie Müdigkeit oder Anspannung können die kognitiven Fähigkeiten beeinflussen. Hinzu kommt, dass Konzentrationsstörungen auch Anzeichen für eine Unter- beziehungsweise Überzuckerung sein können. Diese Symptome geben sich in der Regel, wenn der Blutzucker wieder im Normbereich ist. Häufen sich die Vorfälle von Gedächtnisstörungen jedoch, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Sind Merk- sowie Erinnerungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt, hat das besonders Auswirkungen auf das Kurzzeitgedächtnis.