Bessere Gesundheit

Feel free: Diabetes und die psychische Gesundheit

Eine chronische Erkrankung wie Diabetes hat nicht nur Auswirkungen auf der körperlichen Ebene sondern kann auch die psychische Gesundheit beeinflussen. Damit Sie den Alltag dennoch in vollen Zügen genießen können, sollten Sie sich unter anderem mit Ihren Emotionen auseinandersetzen.

Wenn die Blutzuckerwerte schwanken oder einem nächtliche Unterzuckerungen regelrecht den Schlaf rauben, ist es nicht einfach, die Nerven zu behalten. Das Leben mit Diabetes kann zu einer Belastung werden – nicht nur für Betroffene selbst, sondern auch für Angehörige, Partner oder Freunde. Häufig sind es Angst und Sorgen, die sich wie ein dunkler Schleier über den Alltag legen. Das kennt auch Andrea Halbich. Die 54-jährige Typ-2-Diabetikerin hat sich nach der Diagnose vor sechs Jahren immer mehr zurückgezogen und über ihre Ängste geschwiegen: „Bei mir wurde die Erkrankung relativ spät festgestellt und es dauerte über ein Jahr, bis die Blutzuckereinstellung einigermaßen akzeptabel war. Allerdings hat diese Zeit ihre Spuren hinterlassen“, erinnert sich die Floristin.

Belastende Schuldgefühle

Andrea Halbich war immer ein sehr lebensfroher Mensch. Die zweifache Mutter lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden in einem Haus auf dem Land. Beide haben eigentlich schon einige Krisen gemeinsam gemeistert. „Die hohen Blutzuckerwerte haben bei mir allerdings zu starken Stimmungsschwankungen geführt“, erzählt die Typ- 2-Diabetikerin. „Ich konnte nichts dagegen machen und habe mir irgendwie auch selbst die Schuld gegeben. Es war als würde ich immer nur versagen, obwohl ich mich doch bemühte. Ich schämte mich vor meiner Familie und auch vor meinem Arzt.“ Andrea Halbich rutschte immer mehr in eine Depression, verlor ihre Lebensfreude und damit auch die Motivation, das Leben mit Diabetes in die Hand zu nehmen und mögliche Probleme anzugehen. Dass bei Menschen mit Diabetes Depressionen und andere psychische Erkrankungen häufiger auftreten als bei gesunden Menschen war ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. „2019 schickte mir eine Freundin einen Bericht über Diabetes und Depressionen – ich erkannte mich darin so sehr wieder“, sagt die Floristin heute und fügt hinzu: „Ich spürte beim Lesen plötzlich eine extreme Erleichterung, weil ich mir nun endlich vieles erklären konnte.“

Befreiende Hilfe

Wenn Zusammenhänge zwischen einer körperlichen Erkrankung und psychischen Problemen auf einmal klarer werden, fällt es Betroffenen leichter, den Weg heraus aus der Abwärtsspirale zu finden. „Mir war vorher gar nicht klar, dass ich unter einer Depression leiden könnte, die im Zusammenhang mit meinem Diabetes steht“, betont Andrea Halbich. Ihre Freundin und ihr Mann unterstützten Sie dabei, sich Hilfe zu suchen. Dem Thema Psyche und Diabetes wird in den letzten Jahren auch in der Öffentlichkeit immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch werden auch Diabetologen aufmerksamer und können mögliche Störungen bereits früher ansprechen. Zudem gibt es auch immer mehr Psychotherapeuten, die sich auf chronische Erkrankungen wie Diabetes spezialisieren. Eine weitere gute Hilfe auf dem Weg zur Heilung oder zur Prävention können Selbsthilfegruppen oder Seminare für Menschen mit Diabetes und deren Angehörige beziehungsweise Partner sein. Wichtig ist, Depressionen und Co. nicht als persönliche Schwäche anzusehen und das Thema anzusprechen, statt es totzuschweigen. Auch in den sozialen Netzwerken wird die Kommunikation über mentale Gesundheit offener. Hier gibt es durchaus sehr nützliche Beiträge die Mut machen und Verständnis fördern – sowohl von Betroffenen selbst, als auch von Experten aus therapeutischen Berufen.

Die Sache mit den Gefühlen

Wir sehnen uns nach positiven Gefühlen und versuchen im Alltag möglichst viel für unser Glück oder unsere Zufriedenheit zu tun. Emotionen wie Wut oder Trauer werden hingegen als störend empfunden und oft als negativ abgestempelt. Dabei haben auch sie durchaus ihre Berechtigung. Doch die meisten Menschen wollen sich einfach nicht wütend oder traurig fühlen. Sie versuchen dann alles mögliche, um diesen Zustand zu ändern: Sie unterdrücken, verdrängen, verurteilen oder manipulieren ihre Gefühle auf eine andere Art und Weise. Auf Dauer staut sich dabei sozusagen Energie an. Was nicht gefühlt wird, bleibt im Körper und kann sogar krank machen. „Ich war oft sehr frustriert und wütend, wenn meine Blutzuckerwerte hoch waren und mein Arzt so tat, als müsste ich mich einfach mehr bemühen“, erinnert sich Andrea Halbich. Statt den Frust oder die Wut zu äußern hat sich die Typ-2-Diabetikerin mehr und mehr zurückgezogen: „Das hat mir natürlich nicht geholfen. Aber irgendwann war ich so geübt darin, dass ich einfach gar nichts mehr fühlte.“ Das Problem ist, dass wir uns nicht einfach dazu entscheiden können, nichts Negatives mehr zu empfinden. Wenn wir Emotionen unterdrücken, werden wir unzufrieden und unglücklich. Unsere Lebensfreude wird immer geringer und wir geraten sozusagen in eine erlernte emotionale Taubheit.

Freiheit und Kontrolle

Um sich mit Diabetes frei fühlen zu können, ist zunächst ein gewisses Maß an Kontrolle nötig. Blutzuckerschwankungen, Angst vor Folgeerkrankungen, nächtliche Unterzuckerungen – all das wird als Kontrollverlust über das eigene Leben empfunden. „Mir kam es oft so vor, als würde mein Körper machen, was er will. Nichts war für mich vorhersehbar und viele hohe Blutzuckerwerte konnte ich mir damals nicht erklären“, sagt Andrea Halbich. Eine gute Blutzuckereinstellung lässt sich nicht von heute auf morgen erzwingen, besonders wenn es sich um die Ersteinstellung handelt. Hier ist es wichtig, dass Ärzte ihre Patienten motivieren und das offene Gespräch suchen. Freiheit ist nämlich auch nur dann möglich, wenn ein gewisses Vertrauen besteht und Ängste nicht zum blockierenden Faktor führen. Hier kann auch wieder die Parallele zu den Gefühlen gezogen werden: Angst sollte nicht unterdrückt werden. Vielmehr ist es wichtig, sie genauer anzuschauen zu analysieren und gemeinsam mit dem Diabetologen und dem Diabetesteam nach entsprechenden Lösungen für den Diabetiker zu suchen. Hier kann auch wieder ein auf Diabetes spezialisierter Psychologe eine große Hilfestellung geben. Auch Angehörige und Partner sollten in Bezug auf ihre Ängste jederzeit ernst genommen werden. Schließlich ist es nicht einfach, wenn ein geliebter Mensch erkrankt und damit eine gewisse Hilflosigkeit einhergeht.

Ohne Angst in die Zukunft

Das Thema Freiheit und Kontrolle ist auch für das Leben von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes wichtig. Hier ist die Herangehensweise jedoch anders als bei Erwachsenen, die mehr Selbstverantwortung übernehmen und so ihren Alltag anders gestalten können. Kinder und Jugendliche haben nicht selten einen sehr starken Freiheitsdrang. Eine chronische Erkrankung bedeutet einen plötzlichen Einschnitt in die Entwicklung der Eigenständigkeit. Eltern, Ärzte und Erzieher stehen dann vor der Herausforderung, für eine gute Balance zu sorgen mit der das Kind auf der einen Seite in seiner Selbstständigkeit gefördert wird, auf der anderen Seite aber ausreichend Unterstützung erhält, ohne sich ständig kontrolliert zu fühlen. Unabhängig vom Lebensalter ist eine gute, offene Kommunikation und Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen eine wichtige Grundlage für ein möglichst gutes, glückliches Leben mit Diabetes. Gleichzeitig sollte aber auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten immer wieder gestärkt werden. Im Erwachsenenalter können wir alleine oder mit Hilfe von anderen Menschen gezielt daran arbeiten. Generell brauchen Veränderungen Zeit. Wer sich also nach mehr Freiheit sehnt, kann dafür nach und nach den Weg ebnen und so ohne Angst in die Zukunft schauen.  

Zusammenhänge kennen

Körperliche Erkrankungen und psychische Störungen können sich wechselseitig beeinflussen. Diese Zusammenhänge sollten Sie bei Diabetes kennen:

  • Diabetes und Depressionen: Menschen mit Diabetes sind im Vergleich zum Rest der Bevölkerung häufiger von Depressionen betroffen. Ursache sind unter anderem die Belastungen durch die chronische Erkrankung. Depressionen können sich unter anderem in Form von Niedergeschlagenheit, tiefer Traurigkeit, Antriebs- und Teilnahmslosigkeit, Schlafstörungen, verminderter Konzentration und Aufmerksamkeit, mangelndem Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Ängsten sowie Mut- oder Hoffnungslosigkeit zeigen. » Für den Arzt kann es im Rahmen einer normalen Untersuchung schwer sein, eine Depression zu diagnostizieren, wenn die Symptome unspezifisch sind oder der Patient Symptome nicht benennen kann beziehungsweise möchte. Neben einem gezielten Nachfragen seitens des Arztes ist eine offene, vertrauensvolle Kommunikation wichtig. » Wer feststellt, dass bei sich selbst oder bei Angehörigen beziehungsweise Freunden die oben genannten Symptome über einen längeren Zeitraum von mindestens zwei Wochen bestehen, sollte sich einem Arzt anvertrauen. » Bei Diabetikern können Depressionen durch Psychotherapie, Antidepressiva oder durch eine Kombination beider Strategien gut und effektiv behandelt werden. Wichtig ist dabei auch eine gute Mitarbeit des Patienten, denn durch sein Verhalten kann er den Verlauf der Depression und des Diabetes entscheidend mitbestimmen. » Eine Depression kann wiederum auch zu einer schlechteren Blutzuckereinstellung führen, wenn zum Beispiel Therapiemaßnahmen oder Kontrolltermine nicht mehr eingehalten werden und die Motivation für ein gutes Selbstmanagement sinkt.
  • Diabetes und Angststörungen: Bei Menschen mit Diabetes sind Angststörungen nur unwesentlich häufiger anzutreffen als bei Nichtdiabetikern. Wenn sie auftreten, stehen sie allerdings meist in direktem Zusammenhang mit der chronischen Erkrankung. Zu den häufigsten diabetesspezifischen Ängsten zählen die Angst vor Hypoglykämien, vor Folgeerkrankungen oder die Angst vor Injektionen. » Wer Angst vor Hypoglykämien hat nimmt meist deutlich erhöhte Blutzuckerwerte in Kauf, um eine Unterzuckerung in jedem Fall zu vermeiden. Die Angst vor einem Kontrollverlust kann den Alltag generell enorm einschränken und die Angst vor diabetischen Folgeerkrankungen kann eine übermäßige gedankliche Beschäftigung mit diesem Thema zur Folge haben und zu einer Angststörung führen. Menschen, die Angst vor Injektionen haben, haben Probleme mit regelmäßigen Insulingaben und leiden dadurch unter hohen Blutzuckerwerten. » Im Prinzip ist Angst die natürliche Antwort unseres Körpers auf bedrohliche Situationen und gehört zu unseren Grundgefühlen. Zum Problem wird sie erst dann, wenn sie den Betroffenen in seinem Alltag einschränkt. » In Stresssituationen schüttet der Körper unter anderem Adrenalin aus, um körpereigene Energiereserven zu mobilisieren. Allerdings ist Adrenalin auch ein Gegenspieler des Insulins. Daher führen Angst und Stress zu einem Anstieg des Blutglukosespiegels.  
  • Diabetes und Essstörungen: Essstörungen kommen besonders bei PatientInnen mit Typ-1- Diabetes vor. Wie bei Nichtdiabetikern treten vor allem Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und die Anorexia nervosa (Magersucht) auf. Binge Eating tritt hingegen auch öfter bei Menschen mit Typ-2-Diabetes auf. Die Betroffenen nehmen unkontrolliert große Mengen an Lebensmitteln zu sich, ohne jedoch anschließend zu erbrechen. Dies hat in der Regel eine weitere Gewichtszunahme zur Folge. Diese zieht wiederum eine verstärkte Insulinresistenz nach sich und führt somit zu erhöhten Blutzuckerwerten. » Um eine diabetesspezifische Essstörung handelt es sich beim sogenannten Insulin–Purging das vor allem bei jungen Typ- 1-DiabetikerInnen auftritt. Um abzunehmen spritzen sich diese wenig, teilweise gar kein Insulin. Durch den ständig erhöhten Blutzuckerspiegel wird ein großer Teil der durch die Nahrung zugeführten Kohlenhydrate wieder über den Urin ausgeschieden. Die Gefahr von Folgeerkrankungen ist dadurch sehr hoch. Bei einem kompletten Verzicht auf Insulin kann es innerhalb weniger Stunden zu einer lebensbedrohlichen Ketoazidose kommen. » Auch bei Essstörungen ist eine Therapie wichtig, bei der die möglichen Zusammenhänge zwischen der Erkrankung und dem Diabetes erkannt und angesprochen werden. Die ständige Beschäftigung mit Essen in Kombination mit der psychischen Belastung durch den Diabetes kann eine Ursache für eine Essstörung sein.